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: Im Ex `n` Pop gehörte die Depression zum guten Ton

Oase der schlechten Laune

Manchmal ist die Gegenwart so glanzlos, dass man gern an alte Zeiten zurückdenkt. Manchmal, wenn ihm langweilig wurde, drehte der Dichter und Barkeeper Harry Hass im Ex ’n’ Pop die Musik leiser und brüllte: Kakerlaken! Blindschleichen! Kanaillen! Was ist los, wollt ihr nichts trinken? Schmelz der Westberliner Jahre ist den später Angekommenen schwer zu vermitteln. Westberlin ist für sie Kreuzberg, ist Synonym für Stehenbleiben in den Achtzigern, Bikerkneipen, Hausbesetzertum und lächerliches linkes Bewusstsein. Ja, Jugend schützt vor Blödheit nicht.

Man sollte Seminare über historisches Ausgehverhalten und Westberliner Lebensgefühl anbieten. Hier nur kurz das Wichtigste: Westberlin war Schöneberg und Charlottenburg, die Yorckbrücken und die Goltzstraße, der Matschflohmarkt am Potsdamer Platz, abgeschnittene Straßen, hölzerne Aussichtstürme und leere Niemandsflächen. Westberlin war auch das Bewusstsein, dies alles nicht pittoresk, sondern der Lage angemessen zu finden, denn es spiegelte die innere Verwüstung und das Nichteinverstandensein mit den Verhältnissen wieder. Westberlin war der einzige Ort in Deutschland, an dem man frei atmen und leben konnte, gerade weil es nicht zu Deutschland gehörte. Und das Ex ’n’ Pop war der wichtigste Ort in Westberlin.

Als später die Erlebnisgastronomie und die Love Parade in Berlin eingeführt wurden, als Menschen anfingen, ihre ekelhafte Lebensfreude auf Partys zu zelebrieren, blieb das Ex ’n’ Pop eine Oase, nirgendwo sonst konnte man so schlecht gelaunt hingehen.

Wenn Frauen über 25 allein an der Bar sitzen, müssen sie ja total agil wirken und zu jedem Deppen freundlich sein, damit nicht der Eindruck entsteht, sie seien verbittert und unfreiwillig allein. Nicht so im Ex ’n’ Pop.

In den Achtzigern gehörte die gepflegte Depression noch zum guten Ton, und das Melancholieverbot der Neunziger wurde in der Mansteinstraße vollkommen ignoriert. Trotz aller Sinnesfreude und Ausschweifungen war hier nämlich auch ein Treffpunkt der anonymen Melancholiker und Desillusionisten. Menschen, die den Zauber des Ex ’n’ Pop nie verstanden haben, nannten es deshalb einen Depri-Laden.

Dafür durften sie auch die großen Glücksmomente nicht erleben: das Aufgehobensein in der Gemeinschaft der Gläubigen, die rauschenden Partys und wichtigen Gespräche zwischen Klo, Kicker und Drogenraum, das Ausharren und das Gemeinsam-ratlos-im-Morgengrauen-Stehen-und-Frieren .

Den Wirten ging es nicht um Gewinnmaximierung durch Alkoholverkauf – Wodka wurde grundsätzlich in Apfelsaftmengen ausgeschenkt. Den Gästen wiederum ging es auch nicht darum, mit Stars und berühmten Musikern rumzuhängen, denn alle waren doch selbst Musiker, mehr oder weniger berühmt oder auch irgendwie underground.

Bei aller Sentimentalität hatte man das Ex ’n’ Pop in den letzten Jahren seiner Sterbephase dann doch sich selbst überlassen. Wer nicht in Schöneberg wohnte, hatte ja auch keinen Grund mehr hinzugehen. Die große Ära war lange vorbei.

Nun ist es endgültig geschlossen, und nach der Renovierung des gesamten Hauses in der Mansteinstraße wird unten vielleicht ein Copyshop oder ein Handyladen einziehen. Das Barkollektiv sucht nach neuen Räumen in Westberlin, und wenn sie die tatsächlich gefunden haben sollten, kommt vielleicht sogar das gute alte Ex ’n’ Pop wieder zu neuer Blüte. Wer ganz weit hinten ist, der ist schließlich irgendwann mal wieder ganz vorne.

CHRISTIANE RÖSINGER