: Afrikanische Renaissance
Sechs Jahre nach Ende der Apartheid ist Südafrika dort angekommen, wo die weiße Minderheit nie sein wollte: in Afrika. Straßen, Flughäfen, ganze Städte werden umbenannt, und afrikanische Vornamen liegen im Trend
von KORDULA DOERFLER
Seinen Vornamen mochte der junge Südafrikaner noch nie. Arthur, das klang verstaubt und allzu britisch. Seine Freunde und auch seine Mutter riefen ihn deshalb immer bei seinem afrikanischen Vornamen. Bafana, zu deutsch „Junge“, das hat Klang, erst recht im neuen Südafrika. Denn Bafana Bafana (etwa „Unsere Jungs“), so heißt auch die ruhmreiche Fußballnationalmannschaft. Und die kennt in Südafrika jedes Kind, erst recht in den schwarzen Townships.
In einem der übelsten jener Ghettos, die die Apartheid hinterlassen hat, ist Arthur Zwane aufgewachsen. Seine Eltern waren arme Zuwanderer aus dem ländlichen KwaZulu/Natal. Heute ist er dreißig, lebt immer noch in Thembisa am berüchtigten Ostrand von Johannesburg und gehört zu jener Gruppe von jungen Südafrikanern, die man gemeinhin als lost generation bezeichnet. Wie hunderttausende andere hat Zwane schlechte oder gar keine Schulen besucht. In den Achtzigerjahren, als die Schwarzensiedlungen im ganzen Land brannten, hatten Schüler Wichtigeres zu tun. Ihr Leben war der struggle, der Kampf gegen das verhasste weiße Regime. Auch im neuen Südafrika gibt es für Zwane und seinesgleichen keine Zukunft. Weil er sonst nicht viel zu tun hat, wollte Zwane wenigstens etwas tun, wovon er sein Leben lang geträumt hatte: seinen Namen ändern.
Ganz anders als in Deutschland ist es in Südafrika leicht und unbürokratisch, einen Namen zu ändern. Für eine Gebühr von umgerechnet etwa zwanzig Mark und langes Schlangestehen in einer der Dienststellen des zuständigen Innenministeriums lassen sich Vor- und Familiennamen ohne großen Aufwand umschreiben. Am Ende allerdings rang sich Zwane zu einem Kompromiss durch und trägt nun beide Vornamen Bafana Arthur – und ist stolzer Besitzer eines neuen Ausweises. Und damit in guter Gesellschaft. 1998 ließen immerhin 88.000 Südafrikaner ihren Namen ändern, im vergangenen Jahr waren es schon fast 100.000.
„In“ sind heute wieder die afrikanischen Vornamen, und die sind oft sehr originell. Im Apartheid-Südafrika und zur Kolonialzeit verfuhr man bei der Namensgebung nach einem einfachen Prinzip: Jedes (getaufte) Kind bekam jeweils einen christlichen und einen afrikanischen Vornamen – also beispielsweise Nelson Rolihlahla Mandela. Der Fantasie sind dabei in Afrika keine Grenzen gesetzt: Kinder heißen Peace (Frieden), Gift (Geschenk), Surprise (Überraschung) oder Doctor. Auch die marxistischen Wurzeln vieler Befreiungsbewegungen sind noch nicht ganz verschwunden. Kinder werden noch immer Sputnik, Lenin oder Frelimo genannt. Oft wird mit dem Namen bereits eine kleine Geschichte über den Menschen erzählt. Wie die des großen Staatsmannes, der in seiner Autobiografie „Der lange Weg zur Freiheit“ verrät, was sein Vorname Rolihlahla bedeutet: „am Ast eines Baumes ziehen“ – ein Unruhestifter also.
Südafrika, das letzte Land in Afrika, das frei wurde, folgt mit diesem Trend anderen Staaten des Kontinents. Heute findet auch hier eine Rückbesinnung auf das afrikanische Erbe statt, das zu Apartheid-Zeiten brutal unterdrückt wurde. Bis hinauf in die Regierung gilt es jetzt als schick, einen afrikanischen Vornamen zu tragen. So wurde aus Sam, dem populären früheren Gewerkschaftsboss und heutigen Premierminister der Provinz Gauteng rund um Johannesburg, Mbhazima Shilowa, Südafrikas Verteidigungsminister Patrick Lekota heißt heute Mosiou mit Vornamen. Nur Nelson Mandelas Nachfolger hat es einfach. Seine Eltern, beide Gegner der Apartheid, gaben Thabo Mvuyelwa Mbeki gleich zwei afrikanische Vornamen – damals durchaus ungewöhnlich und eine politische Aussage.
Lekota ist wie Mbeki davon überzeugt, dass dieser Prozess Teil einer afrikanischen Renaissance ist. „Die Kolonialherren hatten kein Interesse daran, die schwierige Aussprache eines afrikanischen Namens oder gar eine afrikanische Sprache zu lernen“, sagt Lekota. Mandela selbst erzählt in seiner Autobiografie mit feinem Humor, wie er zum Nelson wurde. In der Grundschule in einem winzigen Dorf an der Südküste erklärte Mandelas erste Lehrerin dem Sechsjährigen – dem ersten in der Familie, der eine Schule besuchte –, dass er künftig auf diesen Namen hören müsse. „Warum sie mir diesen Namen gab, weiß ich nicht. Vielleicht hatte es etwas mit dem großen britischen Seefahrer Lord Nelson zu tun, aber das wäre eine reine Vermutung.“
In der Apartheid-Zeit nach 1948 wurde die Verbannung des Afrikanischen systematisch zur Staatsdoktrin erhoben und die schwarze Mehrheit millionenfach in Reservate zwangsumgesiedelt und jeglicher Bildungschancen beraubt. Auch heute, sechs Jahre nach dem Fall des weißen Regimes, spricht kaum ein weißer Südafrikaner eine afrikanische Sprache, und vielen dämmert erst allmählich, dass sie nun dort angekommen sind, wo sie nie sein wollten: in Afrika.
Das demokratische Südafrika, oft politisch überkorrekt, hat heute elf offizielle Landessprachen, davon neun afrikanische. Auch im öffentlichen Leben ist Afrika auf dem Vormarsch. Straßen und Flughäfen, ja sogar ganze Städte und Provinzen wurden und werden umbenannt, Apartheidsnamen getilgt. Gemessen an Bilderstürmern in anderen Gegenden der Welt nach Revolutionen oder Systemwechseln, geht die heute regierende schwarze Mehrheit dabei sogar vergleichweise behutsam vor. Denn die weiße Minderheit, die immerhin fast zehn Prozent der Bevölkerung ausmacht und damit mit weitem Abstand die größte weiße Minderheit in Afrika ist, durfte und sollte nicht vergrault werden. Zugleich wird damit aber in kleinen Stückchen, ohne großen Pomp, die südafrikanische Geschichte neu geschrieben.
Wie immer in Südafrika, wurde auch für die komplizierte Prozedur der Umbenennung eigens eine Kommission eingerichtet, die Vorschläge prüft, auf die richtige Schreibweise achtet und am Ende Empfehlungen abgibt. So heißen heute die großen Flughäfen schlicht nach den Städten, in denen sie liegen und nicht mehr nach den ehemaligen Premierministern, Generälen und Vordenkern der Apartheid-Doktrin: der Jan-Smuts-Flughafen in Johannesburg heißt heute schlicht Johannesburg International Airport, der D.F. Malan-Flughafen in Kapstadt Cape Town International Airport und so fort. In anderen Bereichen des öffentlichen Lebens sind auch die lange verpönten afrikanischen Häuptlinge und Könige auf dem Vormarsch. So wurden die Kriegsschiffe SAS Magnus Malan (berüchtigter Verteidigungsminister) und SAS P.W. Botha (vorletzter weißer Staatspräsident) nach dem Xhosa-Häuptling Makhanda beziehungsweise dem großen Zulu-Krieger Shaka benannt.
Weil dieser Prozess jedoch fließend und noch längst nicht abgeschlossen ist, findet man in jeder südafrikanischen Stadt noch immer die Helden der Apartheid auf den Straßenschildern, erst recht in den meist afrikaanssprachigen Nestern auf dem Land. Smuts, Malan, Barry Hertzog, Louis Botha und Hendrik Verwoerd sind langlebiger, als mancher Schwarzer es sich wünscht. Dass die D.F.-Malan-Drives und Jan-Smuts-Avenues indessen bald der Vergangenheit angehören werden, ist auch in Südafrikas weißer Minderheit einigermaßen unumstritten.
Deren Empfindlichkeiten wurden ohnehin gepflegt – auch auf der Ebene der politischen Symbolik. Gänzlich verschwunden sind zwar die alten Flagge des geächteten Regimes und die alten Burenrepubliken Transvaal und Oranje Freistaat. Die burische Nationalhymne De Stem (Die Stimme) allerdings bildet jetzt – ganz pragmatisch – einfach die zweite Strophe der Hymne Nkosi Sikelel’ iAfrika (Gott schütze Afrika). Je nach Hautfarbe wird mitgesungen.
Vielen schwarzen Afrikanern geht das alles jedoch nicht weit genug. Sie wollen die kolonialen Städtebezeichnungen am liebsten ganz verschwinden lassen und dafür die afrikanischen Namen einführen. Dann hieße die Millionenmetropole Johannesburg etwa eGoli (Zulu für: Ort des Goldes) und die Hafenstadt Durban eTekwini (Horn eines Büffels). Den ersten Schritt zu dieser landesweiten Neugestaltung der Landkarten machte der ANC zu den Kommunalwahlen Anfang Dezember. Seither tragen recht verwirrend die Verwaltungen der großen Städte eigene Namen, die durchaus von den Städtenamen abweichen können. Schwer schlucken mussten die weißen Einwohner der Burenhauptstadt Pretoria, die in Tshwane umbenannt wurde. Das Sotho-Wort bedeutet etwa: Wir sind alle gleich.
Eine endgültige Tilgung der kolonialen Namen, so argumentieren viele Weiße, würde international für allzu viel Verwirrung sorgen. Damit aber stehen sie auf verlorenem Posten, beschlagene ANC-Kader können nicht nur auf andere afrikanische Staaten verweisen. Vielen jungen Afrikanern sind die Orts- und Ländernamen der Kolonialzeit längst nicht mehr geläufig. Verwirrend genug ist es doch, dass die Stadt Kinshasa einst Leopoldville hieß und am Kongo-Fluss lag, nach der Befreiung jedoch am Zaire und nach dem Sturz Mobutus wieder am Kongo liegt. Und heißt nicht Salisbury längst Harare und Rhodesien Simbabwe? Selbst im fernen Norden, hinter dem ehemaligen Eisernen Vorhang, lassen sich gute Beispiele für Rückbenennungen finden: Sankt Petersburg etwa oder Chemnitz.
KORDULA DOERFLER, 39, ist seit fünf Südafrikakorrespondentin der taz. Sie lebt in Johannesburg
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