Herzige Goldesel

■ Von der allweihnachtlich keimenden Liebe der Theater zu Kinderstücken

„Nie schöner die Kassen uns klingeln als zu der Weihnachtszeit!“ Das gilt auch für Theater, und zwar ganz besonders für jene, die ein Weihnachtsmärchen im Programm haben. Das sind die Bringer an der Kasse, wie immer auch das Jahr sonst aussah. Kaum eins der Weihnachtsmärchentheater schert sich den Rest des Jahres um die Nachwuchszuschauer. Und auch die Jahresendzeitinszenierung entspringt nicht etwa dem plötzlich erstarkten Wunsch, brachliegendes Terrain urbar machen zu wollen. Zwei bis drei Aufführungen täglich, gerne besetzt mit jungen, preisgünstigen Schauspielern machen die Stücke zu Goldeseln, manchmal auch an der Kasse zum erfolgreichsten Stück der Saison – wie „In 80 Tagen um die Welt“ im Altonaer Theater letzten Winter.

Der fette Weihnachtsbraten auf deutschen Bühnen hat Tradition, besonders in Hamburg. Hier brachte Carl August Görner, damals Direktor des Thalia Theaters, Mitte des 19. Jahrhunderts erstmals ein Märchen für Kinder zur Weihnachtszeit auf die Bühne. Prinzip von Anbeginn: viel zum Lachen und ein kleines bisschen was für den moralischen Aha-Effekt. Zu-ckersüße Ware also bis heute. Ein beim Wort genommener Struwwwelpeter wie zur Zeit im Schauspielhaus ist die Ausnahme – wobei der Witz eher auf erwachsenes Zielpublikum gemünzt scheint.

Das Ernst Deutsch Theater führt beispielhaft vor, wie die Chose läuft. Im Jahresspielplan ist minutiös alles an Stücken mit Besetzungslisten und Inhaltsangaben für die Saison aufgelistet. Unter „außerdem“ kommentarlos versteckt: „Weihnachtsmärchen. Das tapfere Schneiderlein“. Ernsthafte Auseinandersetzung mit Kindertheater ist Fehlanzeige. Inszeniert wird meist nach dem Motto „Märchen ziehen“. Hauptsache, es findet sich ein Kritiker, der was über die roten Bäckchen im Parkett schreibt.

Und so tummelt sich in Hamburg seriell das übliche Arsenal aus kleiner Hexe, tapferem Schneiderlein, Frau Holle, Hänsel und Gretel, Meerjungfrau und Schneekönigin, Biene Maja, Urmel, Pinocchio und gleich drei Zauberern von Oz. Hier perpetuiert sich der kreischige Kleister ungehindert über Generationen. Die Macht dieser zwanghaften Gewohnheit bringt Kinder und Eltern um den kritischen Verstand. Doch ist nicht alles Katzengold, was adventlich glänzt. So ist Das rote Königsspiel in den Kammerspielen ein ausgefeilter Spaß mit viel Musik. Und Mein Hut, der hat drei Ecken im Fundus Theater eine pfiffige (Weihnachts-)Geschichte, die auch den Rest des Jahres Bestand haben wird. Ebenso wie Die Königin der Farben im Altonaer Theater. Hier sind eben ausgewiesene Kindertheaterprofis am Werk. Oliver Törner