Der Hase als tragischer Held

■ In wenigen Tagen ist der Hase offiziell „Das Tier des Jahres 2001“. Ob das seinen auch in Bremen schwindenden Beständen hilft, ist zweifelhaft. Denn was der Hase wirklich braucht, ist intakte Landschaft

Hasen sind Helden, ganz klar. Es gibt Berichte darüber, dass sich Hasen einem angreifendem Adler sitzend zuwenden und erst im letzten Moment mit einem Riesensatz zur Seite schnellen – angeblich bis zu sieben Meter weit und zwei Meter hoch. Während der Adler seine Krallen in den Boden schlägt und Mühe hat, wieder zu starten, ist der Hase auf und davon.

Der Feldhase, lat. Lepus europaeus, hat noch eine ganze Menge anderer Tricks auf Lager: Er kann bis zu 80 Kilometer schnell galoppieren, trägt Tarnkleidung und pflegt sich in einer flachen Grube, der Sasse, zu verbergen. Er hat wache Sinne und das Herz eines Sportlers. Er kaut Vitaminpillen aus dem eigenen Blinddarm, und seine Frauen frönen der Superfötation (Doppelbefruchtung). Doch all diese Strategien, die der Zoologe Heinrich-Otto von Hagen in seinem Buch „Bruder Hasenherz“ beschreibt, haben ihm nichts genützt. Bereits seit 1994 gilt der Feldhase beim Bundesamt für Naturschutz als „gefährdet“ und wurde in die Rote Liste aufgenommen. Angesichts deutlich zurückgehender Bestände hat die Schutzorganisation Deutsches Wild den Feldhasen jetzt zum „Tier des Jahres 2001“ gemacht.

Auch in Bremen, eigentlich Hasenland, geht es mit den Beständen von Lepus europaeus bergab. Die von den Jägern registrierten „Jahresstrecken“ vermitteln ein ungefähres Bild der Entwicklung: Während 1992/93 noch 1136 Tiere erlegt wurden, nahm die Zahl der geschossenen Hasen bis zuletzt (1998/99: 463) kontinuierlich ab. Anfang der 80er Jahre waren es noch vier mal so viele. Lebende Exemplare gab es Stadtjägermeister Harro Tempelmann zufolge im Frühjahr 2000 noch 1.100 – so das Ergebnis der Hasenzählung in den einzelnen Revieren.

Tierschützer machen zu einem guten Teil die Flintenträger selbst für das Hasenunglück verantwortlich. Es gebe keinen wildbiologischen Grund dafür, Hasen zu schießen, meint der Vorsitzende des Bremer Tierschutzvereins, Wolfgang Apel. Die Tiere seien in der Vergangenheit zu sehr bejagt worden. Feldhasen sind in Bremen – wie in fast allen Bundesländern auch – nicht geschützt.

Stadtjägermeister Tempelmann indes berichtet, dass sich die hiesige Jägerschaft inzwischen stark zurückhalten würde. Man schieße ohnehin nur den jährlichen „Überschuss“. Jedoch: Abschusspläne wie beim Rehwild gibt es nicht, Hasenschießen ist Gefühlssache. Aus Tempelmanns Sicht ist der Auslöser für den Bestandsniedergang das European brown hare syndrom, das seit einigen Jahren die Langohren dahinrafft.

Das eigentliche Verhängnis für den Hasen ist jedoch die hochtechnisierte Landwirtschaft, diagnostizieren die Umweltschützer des BUND. Und darin stimmen ihnen auch Jagdmann und Tierschützer zu: Flurbereinigung, Monokulturen, Gifteinsatz und rasende Kreiselmäher sind Gift für den Ex- Steppenbewohner, der zwar offenes Land liebt, aber bitte mit Hecken und Feldrainen, Gräben und Böschungen. Und eigentlich müsste der Feld- ja auch Wiesenhase heißen, mit seiner Vorliebe für 80 Wildpflanzen, die in einer Agrarsteppe nicht mehr gedeihen. Nicht Fuchs, Habicht oder Jäger sind die Hauptfeinde des Hasen, es ist der Mensch des Industriezeitalters.

Und gegen eines ist er total machtlos: Gegen die Überdüngung der Weiden mit Stickstoff, der sich zusätzlich in Form von automobiler Luftverschmutzung auf die Hochleistungsgräser senkt. Der Hase mag viel lieber magere, dafür aber vielfältige Kost. Es gibt Theorien, dass die Tiere mit vollen Magen verhundern. Da hilft es auch nicht, ein Held zu sein. Milko Haase