Einsam im Wind

Anarchie, Revolution und trotzdem freie Marktwirtschaft: Der Film „Mehr Hof machen – der Mehringhof“ dokumentiert, wie die einstige Kreuzberger Hochburg der Autonomen und Alternativen in die Jahre gekommen ist

Die beiden 80-jährigen RentnerInnen, die ein bisschen verloren auf dem Gelände des Mehringhofs herumstehen, sind enttäuscht. „Eigentlich haben wir erwartet, dass es Kaffee und Kuchen gratis gibt. Aber der Berthold, der ist ja auch nicht mehr da.“ Tatsächlich befindet sich schon seit 1979 auf dem Gelände der Schriftgießerei Berthold AG der Mehringhof, und die alten Damen sind beim Hausfest zum 20-jährigen Jubiläum die einzigen, die sich der Zeiten erinnern können, als der Mehringhof noch keine Hochburg der Autonomen war.

Doch die Szene mit den beiden Rentnerinnen hat durchaus was Symbolisches, denn in dem einstündigen Film „Mehr Hof machen – der Mehringhof“ spürt man über die gesamte Länge, dass der Mehringhof in die Jahre gekommen ist und sich die Aktivisten von einst in so mancher Sinnkrise befinden.

Statt heroischer Straßenschlachten und hoffnungsvoller Parolen überwiegt in der Gegenwart der Kampf um die Existenz, selbst wenn ein Mitglied des Fahrradladens ganz trocken meint, „Anarchie und freie Marktwirtschaft“ sei auch schon vor 20 Jahren die Parole für ihre Arbeit gewesen. Arno von „graph druckula“, einer Graphikwerkstatt im Mehringhof, dagegen konstatiert ironisch-resigniert den Zustand des Kreuzberger Initiativenhaus: Ein Museum der verschwindenden Berliner Linken sei das Zentrum heute, man solle doch Führungen durch das Haus machen und dabei den Besuchern die Steine von legendären Straßenschlachten und die Sturmhauben von berühmten Straßenkämpfern zeigen. Und Horst von Stattbuch e.V. nennt die damaligen Kollektivvorstellungen im Nachhinein gar menschenverachtend. Doch trotz aller Ernüchterung versichern sie vor der Kamera, den Mehringhof unter keinen Umständen verlassen zu wollen. Ob es allerdings ein Stückchen Restutopie ist, das sie hier hält, oder doch bloß der nach wie vor gute und kostengünstige Standort, das bleibt offen. Überhaupt enthält sich das Filmteam jeden Kommentars und lässt die Bilder für sich sprechen. Die legendäre Szenekneipe Ex sieht auch heute noch aus aus wie ein verlängertes Wohnzimmer, und Ausschnitte der regelmäßig im Keller des Ex stattfindenden Punkkonzerte dokumentieren die Aktivitäten jüngerer Generationen.

Trotzdem kann man sich bei „Mehr Hof machen – der Mehringhof“ nicht ganz dem Eindruck entziehen, dass im Mehringhof die Alternativbewegung vor sich hin altert und ihr Nachwuchs sich doch lieber woanders rumtreibt. Marie von der Schule für Erwachsenenbildung (SFE) beschreibt diesen Generationskonflikt so: „Während wir zu Partys nach Friedrichshain gehen, vergnügt sich die ältere Generation für 20 Mark im Mehringhoftheater.“

Dass aber die Bilder längst vergangener Kämpfe immer wieder mal Realität werden, beweist auch dieser Film. Denn mitten in die Dreharbeiten platzte eine Großrazzia nach vermeintlichen Mitgliedern der Revolutionären Zellen. Ein Polizei-großaufgebot riegelte das Zentrum ab und nahm einige der Bewohner auf brutale Art und Weise fest. Axel, einer der Hausmeister des Zentrums und zentraler Interviewpartner im Film, sitzt seitdem in Untersuchungshaft.

Illusionen aber, dass dadurch nun eine neue Politisierung einsetzen würde, macht sich trotzdem niemand, wie die nüchternen und alles andere als kämpferischen Reaktionen auf die Razzia beweisen. Am Ende des Films sieht man, wie ein altes, zerschlissenes Transparent einsam im Wind flattert. PETER NOWAK

Der Film „Mehr Hof machen – der Mehringhof“ wird am Sonntag, 17. 12 um 19 Uhr im Kommune-Café, Brunnenstraße 183 in Mitte gezeigt und am Dienstag, 19. 12 um 21 Uhr im Ex im Mehringhof, Gneisenaustraße 2a, Kreuzberg