„Ich bin immer reif zum Schlachten“

Eigentlich sollte es ein Stück über Liebe werden, jetzt geht es um die nachträgliche Verschönerung von Wirklichkeit in der DDR. Leander Haußmann über seine Inszenierung von „Paul und Paula“, die nächsten Donnerstag an der Volksbühne Premiere hat

Interview EVA BEHRENDT

Leander Haußmann: Ich werde jetzt ein ganz nihilistisches, düsteres, weltverneinendes Interview geben. Dafür ist die Presse ja gut, man kann seine Stimmungen ablassen wie beim Frisör.

taz: Herzprobleme?

Kommt alles, ich bin im besten Herzinfarktalter. Ich wäre auch dankbar, wenn man mich endlich mal als den älteren Herrn akzeptieren könnte, der ich ja jetzt bin. Man könnte natürlich sagen: Dann benimm dich doch auch mal so! Doch ich habe genug abgekriegt, jetzt sollen die sich mal Ostermeier oder Hartmann vornehmen.

Frank Castorf fängt an, sein Werk zu verfilmen, und Sie kehren nach „Sonnenallee“ wieder zurück zum Theater. Warum?

Ist Quatsch. Ich war zufällig mal im Film. Das ist die Kehrseite des Medieninteresses: Die Leute geraten plötzlich durcheinander mit ihren Etiketten. Als ich mich damals für Windsor habe ablichten lassen, ging ein Aufjaulen durch das Feuilleton, und im nächsten halben Jahr stand in Klammern „Model“ hinter meinem Namen. Hab ich Erfolg im Film, heißt es: Na ja, seine Theaterarbeiten waren sowieso schon ein bisschen mau, nun ist er beim Film gelandet, aber was will er denn jetzt schon wieder am Theater? Ich bin immer reif zum Schlachten.

Da haben Sie sich zum Trost Plenzdorfs „Paul und Paula“ ausgeguckt?

„Paul und Paula“ ist ein charmantes kleines Theaterstückchen. Nichts anderes möchte ich machen, um damit vielleicht etwas Kurzweil in den monotonen Alltag der Menschen zu bringen. Vielleicht sogar in meinen eigenen. Interessant ist, dass dieses Stück mich zurückkatapultiert hat in die Anfänge meiner Regiezeit. Du denkst, du bist ein Profi, und stehst plötzlich da wie ein Anfänger! Insofern ist die Frage wahrscheinlich auch berechtigt, wieso ich zurück zum Theater bin. Wenn man beginnt, sich zu langweilen, und denkt: „Och, Scheiße, jetzt hast du wieder diesen blöden Einfall, den hattest du doch schon vor fünf Jahren!“ – in dem Moment wird’s gruselig.

„Paul und Paula“ ist keine kleine Vorlage: immerhin ein in Ost und West extrem erfolgreicher DDR-Film.

Ich inszeniere ja nicht den Film, sondern das Theaterstück. Dummerweise hab ich „Paul und Paula“ selber vorgeschlagen, weil ich gerne mal wieder was über Liebe machen wollte. Dann hab ich mich aber schnell wieder davon verabschiedet. Der Text ist nämlich irre schwer. Also hab ich gesagt: Lasst mich doch einen Shakespeare inszenieren! Aber Castorf meinte: Nee, komm mir hier nicht mit deiner Ibsen- und Tschechow-Scheiße, das kannste am Deutschen Theater machen. Wir machen hier besondere Dinge für ein bestimmtes Publikum. Hab ich auch verstanden! Dann kam Bert Neumann, den ich für einen der genialsten Bühnenbildner im Lande halte und der einen großen Anteil am Erfolg dieses Hauses hat, plötzlich mit dem Laubenpieper-Bühnenbild, dem wahrscheinlich naturalistischsten Raum, den er jemals gebaut hat. Da dachte ich: Das musst du machen.

Inspiriert der Laubenpieper-Naturalismus die Liebe?

Das Stück ist ein Märchen, in dem es eigentlich um nichts geht. Leute erinnern sich zurück an ein Pärchen und stricken daraus ihre Legende. Sie erzählen also nicht die Wahrheit, so wie man heute auch nicht die Wahrheit erzählt über die DDR, sondern erzählt, wie sie hätte sein sollen. Man möchte nicht dreißig oder vierzig Jahre umsonst in irgendwas gelebt haben. Das andere Fundament des Stücks ist diese eigenartige Wirklichkeit, die wir jetzt als Exotik wahrnehmen. Im Design ist der Osten ja sehr klar gewesen. Bei mir um die Ecke gibt’s einen Laden, der bietet regionale Produkte an. Ich bin erleichtert, mich nur zwischen zwei Käsesorten entscheiden zu müssen. Das ist wahrscheinlich die Sehnsucht nach Übersichtlichkeit. Ich bin schon am Irrsinnigwerden, weil ich dauernd Angst habe, dass ich mein Leben nicht geordnet kriege. Insofern hatte die Diktatur natürlich etwas. Man fühlte sich geborgen, so wie Gefangene auch ins Gefängnis zurückwollen.

Ist die Volksbühne dafür der richtige Ort?

Ich hatte Castorf angeboten, erst mal hier zu arbeiten. Es ist eben die Volksbühne, wo seltsamerweise auch nach zehn Jahren noch Aufbruchatmosphäre herrscht. Dieses Theater ist wie das gallische Dorf, natürlich auch weil die Kulturintriganten letztlich fast alle Ossis aus leitenden Intendantenpositionen herausintegriert haben.

Es ist ja noch gar nicht so lange her, dass Sie zu Beginn Ihrer Intendanz in Bochum Theater zu Lifestyle erklärt haben und keine Politik auf dem Theater machen wollten . . .

Habe ich nie erklärt. Das ist mir unterstellt worden. Da sind wir wieder bei der Faulheit des Feuilletons. Hundert Inszenierungen produziert, dreißig selber gemacht, darunter „Germania 3“, „Antigone“, acht Stunden Tschechow. Da kann man doch nicht davon sprechen, dass ich unpolitisches Theater gemacht habe, was ausschließlich viel Spaß bedeutete. Nur weil ich in meinem Grußwort „Viel Spaß!“ geschrieben hab? Muss ich denn jetzt so rumseiern wie Matthias Hartmann? So ein lasches, seifenblasiges Zeug absondern, damit die Leute mich ernst nehmen, mit Sätzen, die keiner versteht?

Im Abschiedsbuch für Bochum haben Sie geschrieben: „Wir wollten die Welt nicht verändern, wir wollten sie auch nicht interpretieren, wir wollten sie uns eigentlich nur ausleihen.“ Das kann man schon als Bekenntnis zum Spiel und gegen Politik lesen.

Den Satz fand ich aber auch selber so schön. Ich bin für die Klarheit in der darstellenden Kunst, hab es aber ganz gerne, die Dinge zu entertainen. Wenn du eine bestimmte Absicht hast, musst du – um es mit Brecht zu sagen – eine List finden, die Wahrheit zu verbreiten. Warum ist denn die Verweigerung der Politik nicht auch Politik? Du musst doch nicht, wenn im Kosovo Krieg ist, mit dem „Prinzen von Homburg“ dazu Stellung beziehen. Kunst ist doch nicht dafür da, die Dinge beim Namen zu nennen! Dafür ist Journalismus zuständig. Für mich ist politisches Theater Anbiederei. Guck mal, wie fix ich bin, wie ich die Themen aufgreife, haste erkannt? Soll Saddam Hussein sein!