geselligkeitszwang und cholerische nachbarn:
von RALF SOTSCHECK
Wer sich nicht schnell genug eine Ausrede einfallen lässt, ist selber schuld. Als Mary, die Nachbarin, mit Eintrittskarten für die Nachbarschaftsweihnachtsfeier vor der Tür stand, wandte ich lahm ein, dass ich mittwochs immer Fußball spiele. „An dem Tag nicht“, sagte sie streng und zog mir 15 Pfund aus der Tasche. „Und sei pünktlich.“
Im Dezember sollte man Irland meiden, denn in diesem Monat grassiert auf der Grünen Insel der Geselligkeitszwang. Kein Büro und keine Firma, kein Sportclub und keine Partei, die nicht eine grässliche Christmas Party ausrichtet. Fröhlichkeit ist zwingend vorgeschrieben, Trunksucht ebenfalls. Wer über die Feiertage nicht mindestens fünf Pfund zunimmt und nach zwölf Uhr mittags noch nüchtern ist, hat die irische Variante des Weihnachtsgedankens falsch verstanden.
Beim Alkohol hat man freie Wahl, doch das Essen ist vorbestimmt: Gummischinken und ein Truthahn, der vermutlich friedlich entschlafen ist, Gemüse, aus dem jedes Leben herausgekocht wurde, und dazu ein Berg zerfallener Kartoffeln. Die eventuell noch vorhandenen Geschmacksreste werden mittels einer alles ertränkenden Sauce ausgetrieben.
Schlimmer ist jedoch der Unterhaltungsteil. Das zuständige Nachbarschaftskomitee hatte eine Karaoke-Animateurin angeheuert, die unerbittlich die Leute ans Mikrofon trieb. Ich zog mich an die Bar zurück und beobachtete das grauenhafte Treiben aus der Ferne. Solch niedrige Schamgrenze hätte man einigen Nachbarn gar nicht zugetraut. Dann wurde es aber doch noch ganz lustig, weil die Feiernden im Zuge fortgeschrittenen Alkoholkonsums immer gehässiger über nicht anwesende Nachbarn herzogen. Derek erzählte, dass er einen Dachdecker für Reparaturarbeiten bestellt hatte. Er kam prompt und deckte das Dach von Herrn Marley, dem Nachbarn, ab, worauf der einen Tobsuchtsanfall bekam und die Polizei rief. Kurz darauf fuhren zwei Mannschaftswagen mit quietschenden Reifen vor und stellten den Dachabdecker zur Rede. Er sei „etwas durcheinander“ gewesen, räumte er ein. Vermutlich eine Weihnachtsfeier des Dachdeckerverbandes. Zur Strafe musste er das Dach von Herrn Marley neu decken, während der wie ein Habicht in der Regenrinne hockte.
Das sei ja harmlos, meldete sich Robbie zu Wort. Sein Nachbar, ein Herr Clarke, sei ein besonders cholerisches Exemplar eines Nachbarn. Vor kurzem, als Robbie sein Haus von einem Maler mit einem Sandstrahlgebläse reinigen ließ, stürzte seine Tochter ins Haus und verkündete, dass Herr Clarke gerade den Maler verhaue. Der Grund: Bei der Gebäudereinigung waren Farbspritzer auf die Pflanzen von Frau Clarke geraten. „Du hast zwar erwähnt, dass dein Nachbar merkwürdig ist, aber du hast vergessen, mir zu sagen, dass er komplett verrückt ist“, sagte der Maler und machte sich aus dem Staub. Das halb gereinigte Haus war der Nachbarschaftsvereinigung ein Dorn im Auge. Man bat Robbie nachdrücklich, dem Gebäude ein ästhetischeres Erscheinungsbild zu verleihen. Robbie strich es rosa. Er hasst Rosa, aber er weiß, dass die Nachbarn die Farbe noch mehr hassen.
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