Macht der Gewohnheit

Irgendwie eigener Radio-Pop-Rock: „Fury in the Slaughterhouse“ servieren in der Großen Freiheit keinen Thunfisch-Salat mehr  ■ Von Volker Peschel

Es war einmal eine Band, „da saßen Leute in der ersten Reihe und fraßen Thunfisch-Salat!“ Dokumentiert ist diese Beschwerde Kai-Uwe Wingenfelders, Fury-Bruder am Mikrofon, auf Pure Live!, dem Mitschnitt ihrer ersten richtig großen Tournee. Das ist über acht Jahre her, und Fury in the Slaughterhouse waren die Könige der Schulpartys. Jeder hatte damals ihr Album, und auch jeder ihrer Auftritte im hannoverschen Umland wurde besucht. Das war damals, und wenig ist so langweilig wie die alten Zeiten von Bands schön zu schreiben, als sie noch „ehrlich und erfolglos“ waren. Was aber tun, wenn es schlicht die Wahrheit ist?

Die sechs Schlachthaus-Pferde verkaufen besser denn je und spielen gleichzeitig die unmotiviertes-ten Konzerte seit langem. Nagt die Macht der Gewohnheit an ihnen? Schließlich dürften Fury in the Slaughterhouse – vielleicht außer BAP – die einzige deutsche Band sein, die eine beständig erfolgreiche Zeit feiert, und das seit über 13 Jahren. Wie schwer sich andere (deutsche) Popper à la Reamonn tun, allein 13 Monate im Gedächtnis der Käufer zu bleiben, ist bekannt. Beachtlich von daher die Vita der Combo aus Hannover: Im Frühling 1987 spielten sie in einem Hinterhof die ersten Töne gemeinsam. Ergebnis ist ein Jahr später ihr weißes Album. Sie begleiten die Pogues, deren Front-Trinker Shane McGowan sie zum „Best supporting act ever“ kürte. Respekt. Produzent Jens Krause hauchte ihnen auf Jau! Radio-Pop-Tauglichkeit ein. Das Publikum wuchs, und mit den Lokal-Kollegen von Terry Hoax spielten sich Fury sprichwörtlich die Finger wund. Den entscheidenden Durchbruch brachte Hooka Hey!, sie avancierten zum Headliner gefeierter Open-Airs.

Das war „damals“, als Fury-Alben noch Ausrufezeichen im Titel hatten. Ihr Best-Of Seconds to Fall wirkt dabei wie ein Abschluss dieser frühen Ära: Indie wurde zu Pop, verhaltener Punk zu Stadion-Rock. Mono läutete neue Zeiten ein: 1994 verkauften sie in den USA erstaunliche 100.000 Einheiten.

Originalität und kommerzieller Erfolg laufen bei den Furies auseinander, aktuellere Alben eröffneten neue Hörer-Schichten jenseits der Konzert-Gänger von einst. An sich eine schöne Tatsache, jedoch bes-tand ein Großteil des Charmes, der die Band „damals“ so anziehend machte, eben nicht in abgehobenen, professionellen Erfolgs-Tourneen. Nicht nur ihre Vorbands – wie in diesem Jahr die weit motivierteren Scycs – wunderten sich sehr über affektiertes Star-Gehabe und ungeahnte Arroganz im Backstage-Bereich. „Are You Real?“ mögen sich Fury irgendwann selbst gefragt haben, spielten anschließend eine Kneipentournee, zogen mit Fans musizierend und trinkend durch die Heimat-Stadt. Back to the roots.

Nun liegt ihr aktuelles Album Home Inside vor, inspiriert von der Sonne Jamaikas. Ob sie sich mit „Sixpack full of Happiness“ selbst meinen? Live wirken sie nicht so. Sie sind satt und das steht ihnen ins Gesicht geschrieben, allen voran Kai-Uwe. Cool blickt er unter dem Las-Vegas-Cowboyhut herab auf seine Fans, die ihm jeden Saal füllen. Da bleibt es nett, Christof Stein zu beobachten, wenn er mit einem zwei-Becks-Flaschen-Halter am Mikrofon zwischen den Songs über die Expo schimpft. Bis er den roten Faden verliert und grinsend wieder zur Gitarre greift.

Um fair zu bleiben: Schlechter sind sie ja nicht wirklich geworden, irgendwie eigen klingt ihre Variante des Pop-Rock noch immer. Vielleicht ist es die Trauer um eine Band, die „damals“ rotzfreche, lus-tige Konzerte spielte; um die Jungs „aus der Region“, die viel mehr Spaß machten als die großen Popper aus Übersee. Und die jetzt ganz professionell das tun, wofür sie bezahlt werden: Alben veröffentlichen, Hallenkonzerte ausverkaufen, nach Hause gehen.

Schade. Das mag sentimental klingen, trifft aber auf die Band zu, deren Publikum einst Thunfisch-Salat aß.

mit Anger 77 und Automat: heute (ausverkauft) und morgen, 20 Uhr, Große Freiheit 36