Raunen, toben, Hände ringen

Der Krieg auf dem Balkan ist vorbei. Die Kriegsverbrecher kommen vor Gericht, aber das Theater stellt die wirklich wichtigen Fragen. Wie zum Beispiel wird der Mitmensch zum Monster? – Peggy Lukac inszeniert „Das Monument“ in den Sophiensaelen

von ESTHER SLEVOGT

Der Krieg ist vorbei, und die Kriegsverbrecher werden vor Gericht gestellt. Einen von ihnen kann man in diesen Tagen in den Sophiensaelen treffen: zum Tode verurteilt wegen Vergewaltigung und Ermordung von dreiundzwanzig jungen Frauen, irgendwo im ehemaligen Jugoslawien.

Da steht er dann, nestelt an seiner Hose herum wie ein verklemmter Pennäler und bemitleidet sich selbst. Auf der Erde liegt Sand, in den man ausdrucksvoll fallen, aus dem man Steine graben und zu Grabmalen auftürmen kann. Im Hintergrund eine halb vermauerte Tür, wo man malerisch sitzen und monologisieren kann. Das schummerige Licht taucht alles in eine traumhaft entrückte Atmosphäre: Das Bühnenbild (Jana Feiler) ist wunderschön und ergänzt in idaler Weise die Morbidezza des Theatersaals. Diaprojektionen mit Gesichtern, Klanginstallationen mit flüsternden Stimmen und nicht zuletzt die elektronische Livemusik von Andreas Weiser sorgen in Peggy Lukac’ Inszenierung des Stücks „Das Monument“ der Kanadierin Colleen Wagner für avantgardistischen Schliff und einen Hauch von Performance.

Kriegsverbrecher auf dem Theater sind ja eine heikle Angelegenheit, besonders wenn das Theater mit dem Anspruch auftritt, sich der Wahrheit zu widmen und den wirklich wichtigen Fragen – während die Medien bloß Klischees, Lügen und abgedroschene Phrasen produzieren. Auch die ins Wohnzimmer schwappende Bilderflut ist in diesem Zusammenhang ein beliebtes Motiv. Und es ist immer wieder erstaunlich, wie gründlich so moralisch tadellose Theatermacher verdrängen können, dass auch sie die Kriege lediglich auf dem heimischen Sofa verfolgen. Jedenfalls hängt die Latte ziemlich hoch, wenn schon in der Stückankündigung steht: „Die wirklich wichtigen Fragen werden nicht gestellt: Was enthemmt den Mitmenschen zum Mörder? Wie wird der Mitmensch zum Monster?“

Als wir diesem zum Monster gewordenen Mitmenschen namens Stetek dann in einem Sandhaufen kniend begegnen, ist sein Kopf verhüllt. So wie man es eben macht mit Todeskandidaten, damit die Schützen des Exekutionkommandos ihnen nicht ins Gesicht sehen müssen, während sie ihn erschießen. Genau weiß man es nicht: Ist der Mann schon tot und alles, was passiert, ein Traum – oder wartet er gerade aufs Totgeschossenwerden? Eine Frau namens Marja taucht auf und bietet ihm einen Pakt an: Sie will ihn retten, wenn er sich im Gegenzug verpflichtet, für den Rest seines Lebens sich ihr bedingungslos zu unterwerfen. Der Todeskandidat nimmt an. Und der Zuschauer wartet nun auf einen symbolischen Zweikampf, der die versprochenen wichtigen Antworten gibt.

Aber man wartete umsonst und bekommt bloß Klischees und einigermaßen banale Einsichten serviert. Zum Beispiel dass es unnormal ist, sich selber wehzutun, aber normal, andere zu verletzen. Es gibt ein paar sensationshungrige Schilderungen der Untaten, die mit der gleichen Pseudoempörung daherkommen wie die Berichte über Brutalitäten in der Bild-Zeitung. Und die geheimnisvolle Marja entpuppt sich schließlich als Mutter einer der jungen Frauen, die besonders grausam ermordet wurde. Zu dem Ort, wo er die Siebzehnjährige im Wald verscharrte, soll Stetek sie bringen. Und nicht nur das: „Du wirst die Geschichte der Vermissten erzählen. Du wirst ihnen einen Namen geben. Wir werden ein Monument bauen über die Wahrheit des Krieges.“

Miriam Goldschmidt, die einst in Peter-Brook-Inszenierungen berühmt wurde, gibt die Marja als griechische Tragödin – raunend, tobend, händeringend –, und Andreas Seethaler als mordender Vergewaltiger wirkt irgendwie arm und irr. Sicher kann er nichts dafür, das aus ihm ein Monster wurde. Eine andere Antwort gibt die Inszenierung nicht. Solange das Theater bloß Klischees und abgedroschene Fragen produziert, werden wir wohl weiter fernsehen müssen.

Weitere Aufführungen vom 20. bis 22. 12, 26. bis 30. 12., jeweils um 20 Uhr in den Sophiensaelen, Sophienstr. 18. Karten unter Tel. 2 83 52 66