herr hefele kriegt zwei minuten
: ALBERT HEFELE über kritzelnde Teufel

Eine Weihnachtsgeschichte

Werner starrte unverwandt aus dem Fenster der großen Wohnküche des riesigen Bungalows. Draußen war der Tag grau am späten Nachmittag. „Grau, wie meine Haare ...“, dachte Werner. Und kalt. „Kalt wie eine zerbrochene Freundschaft ...“, dachte Werner. Er staunte ein wenig. Wo hatte er auf einmal all diese Worte her? Er lauschte in sich hinein. Aber da war nichts mehr.

Schon seit Tagen saß er hier in seiner Wohnküche. Genauer gesagt, seit Sonntagvormittag. Was sollte er auch tun? Und so saß er hier und lauschte in den grauen Tag hinaus. Seit Sonntag. Seit er die Mannschaft in die Winterferien entlassen hatte. Heim zu ihren Lieben, zur Familie. Auch er hatte einmal eine Familie gehabt. Das war vorbei. „Es ist nicht mehr auszuhalten mit dir!“, hatte die Frau auf den braunen Karton geschrieben, den sie ihm zum Abschied an die Tür der Wohnküche geheftet hatte. „ ... Nicht mehr auszuhalten ...“ Dabei war ja noch alles gut geworden. Glaubte sie vielleicht, ihm hätte es Spaß gemacht, jede Nacht schweißgebadet aufwachen zu müssen und zähneknirschend durch das Haus zu tigern?

Werner starrte auf seine Hände, die wie müde Tatzen vor ihm auf dem groben Holztisch lagen. Das Messer in der Rechten. Ein Messer? Wollte er sich etwa ...? Werner zuckte zusammen. Hatte er etwa dieses Leben beenden wollen ...? Dieses harte, aber schöne Leben, das ihm in letzter Zeit manchmal so sinnlos vorkam ...? Hatten sie ihn so weit gebracht ...? Die kritzelnden Teufel? Die diabolischen Zeilenschinder? Hatte er wirklich vor denen kapitulieren wollen? Aufgeben wie Karl-Heinz? Dann sah er die Butter, dann sah er die Leberwurst. Da wusste er es wieder. Er hatte sich nur Brote geschmiert. Geistesabwesend. Brote geschmiert, immer nur Brote geschmiert. Leberwurstbrote an Weihnachten. Werner seufzte. Wie traurig dieses Weihnachten werden würde.

Wie schön ihm dagegen die vergangenen Weihnachtsfeste vorkamen. Die Feier mit der Mannschaft. Karl-Heinz hatte ihm die Kiste mit den teuren Zigarren zugesteckt: „Rauchsta’s hoit heimlich, dass da Sponsa nix merkt ...“ Werner musste für eine Sekunde schmunzeln. Das waren noch Zeiten. Er schnippte sich eine Marlboro aus der Schachtel und zündete sie routiniert an: „Sollen mich doch am Arsch lecken, diese Heinis mit ihrem Anti-Raucher-Kaugummi. Blödes Zeug.“

Werner war sauer. Als ob er keine anderen Sorgen hätte. Schließlich war er einem grauenhaften Schicksal nur um Haaresbreite entgangen. Wenn dieses Spiel gegen den HSV... Er wagte nicht, den Satz zu Ende zu denken. Werner schluchzte auf. Er hatte in den Abgrund geblickt. In den Abgrund der vorzeitigen Trainerentlassung! Wenn er dieses Spiel verloren hätte, hätten sie ihn entlassen. Dabei hatte er doch alles getan für den Verein. Er hatte sogar irgendwie das Rauchen aufgegeben für den Verein. Zumindest in der Öffentlichkeit.

Werner schob seinen Unterkiefer schubladenförmig nach vorne – oben. Das tat er immer, wenn es in ihm arbeitete. Dann mahlten seine Kiefer und er wölbte die Lippen vor – einem nachdenklichen Schimpansen gleich. „Jetzt siehst du wieder aus wie Miss Marple`, hatte seine Frau immer zu ihm gesagt. „Miss Marple ...“, er seufzte wehmütig. Alles könnte gut sein, wenn diese TV-Bastarde, diese Krakel-Heinis nicht wären! „Fragen! Fragen! Fragen!“, brach es aus ihm heraus.

Werner begann wütend mit wilden Streichen Leberwurst aufs Brot zu schmieren. Ganz so, als wäre das Brot einer von denen. Dann drückte er die nur halb gerauchte Marlboro in die Leberwurst. „Da!“, bellte Werner und warf sieghaft den Schädel, auf dem sich das Haar wie eine graue Pelzmütze wölbte, in den Nacken. Draußen begann es zu schneien.

Autorenhinweis:Albert Hefele, 48, ist Ergotherapeut und schreibt über die fundamentalen Dinge des Lebens.