Der Mehrwert der Aura

Der Kunsthistoriker Wolfgang Ullrich untersucht in seinem Buch „Mit dem Rücken zur Kunst“, wie moderne Kunst als neues Statussymbol der Macht herhalten muss – und es auch manchmal gerne tut

von HARALD FRICKE

Das erste Bild gehört dem Kanzler. Wolfgang Ullrich beschreibt ein Foto Gerhard Schröders. Steif hat er sich in seinem Büro aufgerichtet, in der Hand hält er die Zigarre, an der er auch nach dem Wahlsieg noch das Regieren übte. Alles sieht lässig und männlich-cool aus – wie auf einem Selbstbildnis von Max Beckmann. Doch dann fällt Ullrichs Blick auf das Bild, das hinter Schröder hängt: „Komposition mit dem Zufall“, eine abstrakte Arbeit des niedersächsischen Malers Lienhard von Monkiewitsch.

Ob Dandy oder Staatsmann: Was immer der SPD-Chef im Sommer 1998 mit seiner Pose verkörpern wollte, für Ullrich wird durch das Kunstwerk erst der Pakt zwischen Kultur und Politik als Inszenierung der Macht besiegelt. Zwei Dutzend Beispiele hat der Münchner Kunsthistoriker gefunden, bei denen Politiker und Wirtschaftsbosse sich zum Fototermin „mit dem Rücken zur Kunst“, so der Titel seines Buches, präsentiert haben. Der Generaldirektor der Victoria-Versicherung bevorzugt Gerhard Richter als Kulisse, Rolf Breuer baut sich als Vorstandssprecher der Deutschen Bank lieber streng vor den Karomustern von Günther Förg auf. Und die Juso-Vorsitzende Andrea Nahles wirkt vor vier roten Trapez-Leinwänden gleich noch lockerer.

Dabei geht es Ullrich nicht um das Bloßstellen hilfloser Gesten, mit denen Teile der gesellschaftlichen Elite Kompetenz auf einem ihr fremden Sektor beweisen wollen. Seine Untersuchung vollzieht schlicht den Wandel im Bild des Herrschers für die Öffentlichkeit. Hatten sich in früheren Jahrhunderten Fürsten und Könige noch hoch zu Ross oder mit den Insignien ihrer Macht porträtieren lassen, so findet in der Gegenwart eine merkwürdige Verschiebung statt: weg von leitbildhaften Symbolen, hin zu mehr Distinktion. Selbst Telefon und Firmenlogo – Zeichen für Arbeitsernst und Arbeitsfleiß in den Fünfzigerjahren – sind verschwunden. Führungsstärke lässt sich heute mit gutem Geschmack am besten simulieren.

Denn daran, dass die Bilder stets Statussymbole bleiben, zweifelt auch Ullrich nicht – zumal sie meist im Kontext von Wirtschaftsmagazinen erscheinen, als Anreißer zum begleitenden Text. Das Gemälde im Hintergrund soll lediglich betonen, was für ein Bild man sich von demjenigen machen soll, der davor steht. In letzter Instanz entscheidet aber der Fotograf, wenn nicht die Redaktion, ob Schröder in der Zeitung auf Beckmann machen darf oder doch lieber wieder als besorgter Staatsmann auftreten soll, wie ihn Konrad R. Müller in Anlehnung an ein Bismarck-Gemälde Franz von Lenbachs 1999 für den Spiegel abgelichtet hat.

Tatsächlich liegt Ullrich aber richtig, wenn er feststellt, dass ausgerechnet die Nachkriegskunst der Moderne einen Mehrwert an Aura erzeugt. Dafür bürgen auch die Bildinterpretationen zeitgenössischer Kunsthistoriker: So werden den Arbeiten Max Ackermanns etwa „Konsequenz und Unbeirrbarkeit“ attestiert, die sich auf Bernhard Walter von der Dresdner Bank übertragen sollen, wenn er vor einem solchen Ackermann-Gemälde Haltung annimmt. Geschickt leitet Ullrich diese Blickhierarchie aus der Rezeptionsgeschichte her: Je geringer das Verständnis des Publikums für Bilder, umso nachhaltiger ihre Bewunderung für diejenigen, die sich diesen Bildern im wörtlichen Sinne stellen. Heute gehört die Kluft zur Strategie, mit der die Mächtigen auf Luxusobjekte verzichten, die dem gemeinen Volk durchaus geläufig sind, und an ihrer Statt Kunst einsetzen.

Diese „Aussagekraft“ hatte schon Pierre Bourdieu zum Gegenstand der „feinen Unterschiede“ gemacht. Ullrich dreht die Schraube noch weiter: Wo mittlerweile alles kulturell gedeutet wird und Stilsicherheit bereits Entscheidungswillen suggeriert, verschwimmen die Trennlinien zwischen politischer Logik und visuellem Spektakel. Das gilt auch umgekehrt: Dann bürgt der Maler Jörg Immendorff mit seinem groben Naturell für die verfeinernde Wirkung von Windsor-Krawatten – zur Not ganz ohne Schlips. Schließlich zählt nicht die Qualität der Ware, sondern das Image. Und ein Foto von Gerhard Schröder sagt ja auch nichts über die Politik der SPD.

Wolfgang Ullrich: „Mit dem Rücken zur Kunst – Die neuen Statussymbole der Macht“, Verlag Klaus Wagenbach Berlin 2000, 126 S., 36 DM