„Alles andere ist besser als Krieg“

Die Gewalt zwischen Serben und Albanern in Südserbien eskaliert. Präsident Koštunica appelliert an beide Seiten

VRANJE taz ■ Jovans Blick auf die Berge ist sorgenvoll. Denn die im Tal gelegene Straße von Presevo nach Bujanovac ist von oben einzusehen. Dort oben, sagt er, „sitzen sie“, die „Terroristen“ der UCPMB, der albanischen Befreiungsorganisation von Presevo, Medvedja und Bujanovac. Dem 23-Jährigen ist unwohl. Seit sich Überfälle auf serbische Polizisten häufen, haben auch die serbischen Zivilisten Angst. Vor vier Wochen wurden vier Polizisten getötet, die Zahl der Verletzten geht in die Dutzende. Minen wurden gelegt, Häuser beschädigt. Seit Beginn des Konfliktes 1999 starben auch 6 Zivilisten.

Jovan stammt aus der 40 Kilometer entfernten Stadt Vranje. Wie in Presevo und Bujanovac haben sich auch dort viele serbische Flüchtlinge aus dem Kosovo angesiedelt. Sie sind die treibende Kraft einer Bewegung, die vom Staat Aktionen fordert. Tausende Bewohner und Flüchtlinge haben in den letzten Tagen gegen die „albanischen Terroristen“ demonstriert und Armee und Polizei aufgefordert, „die da oben auszuräuchern“.

Doch die albanischen Kämpfer beeindrucken diese Drohungen nicht. In den Bergen entlang der Grenze zum Kosovo sind die albanischen Dörfer fest in der Hand der UCPMB. Dies ermöglichte das Abkommen von Kumanovo vom Juni 1999, das die Modalitäten des Einrückens der Nato-Truppen in das Kosovo festschreibt und eine demilitarisierte Zone entstehen ließ. Die jugoslawische Armee musste sich aus einem 5 Kilometer breiten Streifen entlang der Grenze zum Kosovo zurückziehen. Hier ist es nur der serbischen Polizei erlaubt, „Ordnungsfunktionen“ wahrzunehmen. Der Konflikt eskalierte, als die Polizei im Frühjahr einige albanische Zivilisten erschoss und militante Serben Albaner in Presevo und Bujanovac angriffen. Tausende Albaner flohen, serbische Flüchtlinge bezogen die leeren Häuser. Daraufhin zeigten sich militante Albaner mit dem Aufnäher der UCPMB in den Dörfern. Seither werden dort Polizeistreifen angegriffen. Jetzt traut sich serbische Polizei nur noch in Randgebiete der Zone. Und der Armee sind die Hände gebunden.

Das macht die serbischen Aktivisten wütend. Sie werfen der Regierung unter Vojislav Koštunica Tatenlosigkeit vor. Um Kostunicas Kommen zu erzwingen, wurden Straßen blockiert. Immer noch stehen dort kleine Gruppen, meist junge Männer. „Als Ausländer solltest du nicht mit denen sprechen“, sagt Jovan. Selbst serbische Journalisten aus Belgrad wurden am vergangenen Donnerstag angegriffen, weil sie „schlecht berichteten“.

Der jugoslawische Präsident bezog am Wochenende eine klare Position. Er sprach bei seinem Besuch von den Ängsten beider Seiten und insistierte zum Missfallen der Radikalen, dass der Konflikt friedlich gelöst werden müsse. Er forderte die KFOR im Kosovo auf, den Nachschub an Waffen für die UCPBM zu unterbinden. Eine Kommission zu Detailfragen werde gebildet. „Wir müssen verhandeln, nicht Krieg führen“, erklärte er. Am heutigen Dienstag werde das Problem im Weltsicherheitsrat behandelt. Wenn sich die Lage nicht beruhige, müsse Serbien über den Einsatz von Militär nachdenken. Dass die Eskalation den Radikalen gelegen kommt, ist eine Vermutung, die nicht nur Koštunica ausgedrückt hat. Vom Konflikt profitierten nur Milošević und der im Kosovo bei den Wahlen unterlegene Hashim Thaci, ist die durchgängige Meinung der demokratischen Kräfte Serbiens und Kosovos. Liljana Nestorović, Sprecherin der serbischen Sozialdemokraten, meint, dass das geschlagene Regime nicht aufgibt und versucht, ein Klima der Gewalt zu schaffen. In dieser Atmosphäre könne es versuchen, Wählerstimmen zu gewinnen.

Jovan weiß dazu wenig zu sagen. Er ist froh, dass er wieder nach Vranje fährt. „Alles andere ist besser als Krieg“, sagt er, „da verlieren nur die kleinen Leute.“

ERICH RATHFELDER