Zeit der Scheinheiligen

Rund ein Drittel der Weltspielzeugproduktion stammt aus dem Reich der Mitte. Die Europäer tun sich schwer damit, es zu kaufen. Sie sorgen sich um die Menschenrechte und die Arbeitsbedingungen. Zu Unrecht, wie das Beispiel Best-Lock zeigt

aus Peking GEORG BLUME

Weihnachtszeit ist in China Aufholzeit. „Legosteine gibt es im Westen seit sechzig Jahren und in China seit fünf Jahren. Natürlich müssen wir aufholen“, feuert der Jungunternehmer David Cheng seine annähernd tausend Mitarbeiter an. Sie stellen für einen Monatslohn von umgerechnet 160 Mark in einer Spielzeugfabrik in Nanking legoähnliche Bausteine für westliche Kinderstuben her. Cheng hat es in sechs Jahren an der Spitze des von ihm gegründeten und nach eigenen Angaben zweitgrößten chinesischen Spielzeugherstellers Best-Lock weit gebracht. Hundertausende kleiner Spielsteine verlassen täglich seine Fabrik. Über 70 Prozent der Fabrikware wird exportiert.

Best-Lock ist inzwischen in vielen Ländern ein ernst zu nehmender Konkurrent für den dänischen Spielsteinehersteller Lego. Nicht in Europa. Offenbar ist vielen Europäern Spielzeug aus China nicht geheuer. Es könnte vergiftet sein oder unter menschenunwürdigen Bedingungen hergestellt werden, lauten die üblichen Verdächtigungen einer besonders zur Weihnachtszeit politisch korrekt denkenden Kundschaft.

Weihnachtszeit ist in Deutschland Scheinheiligenzeit.

Politisch korrekt zu kaufen, könnte aber durchaus heißen, Spielsteine aus China statt aus Dänemark unter den Weihnachtsbaum zu legen. Schließlich sind die Arbeitsplätze von tausend Best-Lock-Arbeitern in Nanking weit gefährdeter als die Stellen der 40.000 Lego-Angestellten in Europa, die zudem im Vergleich zu den chinesischen Verhältnissen sozial ungleich besser abgesichert sind.

Privatunternehmer Cheng ist sich seiner Sache sicher: „Heute gibt es in China kaum noch eine Spielzeugfabrik, in der unter primitiven Bedingungen gearbeitet wird.“ Wenngleich sich Chengs allgemeine Aussage nicht überprüfen lässt, trifft seine Feststellung im Einzelfall zu: Die Best-Lock-Fabrik in Nanking, errichtet in einem neuen Industrieansiedlungsgebiet am Ufer des Jangtse, bietet relativ gute Arbeitsbedingungen.

Die meisten Fabrikarbeiter wohnen in der Vorstadt und kommen mit dem Fahrrad zur Arbeit. Es gibt keine Zwangseinquartierung und keine Kinderarbeit, wie anderorts üblich. „Da die meisten Arbeiter vom Land in die Stadt gezogen sind, ist der für westliche Verhältnisse sehr geringe Lohn für sie akzeptabel“, sagt Cheng. Daran ist angesichts des Elends von Millionen arbeitsloser Wanderarbeiter in China nicht zu zweifeln.

Außerdem sind viele Best-Lock-Angestellte froh, mit Cheng einem Mann zu dienen, der für seine Firma einsteht – und nicht etwa scheinheiligen Parteikadern. „Von Cheng werde ich ernst genommen. In dem Staatsbetrieb, wo ich früher arbeitete, war das anders“, sagt Helen Qian von der Best-Lock-Exportabteilung.

Bei der Frage, welche Materialien die Firma verwendet, ist Cheng auf der sicheren Seite: Alle Rohmaterialien bezieht Best-Lock von einem nahegelegenen BASF-Jointventure-Unternehmen in Nanking. Das liefert nach eigenen Angaben „deutsche Qualität“.

Natürlich gibt es auch andere Beispiele aus China: Kürzlich berichtete das Christliche Wirtschaftskomitee (CIC) in Hongkong von „lebensgefährlichen“ Arbeitsbedingungen bei Zulieferwerken von Disney-Spielzeugen in Südchina. Arbeiterinnen würden dort gezwungen, sieben Tage die Woche und mehere Monate am Stück zu arbeiten. Eine der Firmen habe 400 Arbeiter in einem Schalfsaal mit vergitterten Fenstern und nur wenigen Ausgängen untergebracht. Ein Feuerschutz bestehe nicht.