deutschland in panik
: Eine neue Umweltkrankheit

Ratlosigkeit gepaart mit Panik ist eine schlimme Kombination. Politiker und Experten stehen unter enormem Druck, schnelle und eindeutige Antworten zu liefern. Die Medien verschärfen das Problem noch, weil sie zur Übertreibung möglicher Gefahren wie zur Simplifizierung komplexer Sachverhalte neigen.

Es rächt sich, dass man sich auch in Deutschland zu früh auf Erklärungen festlegte, die Großbritanniens kontaminierte Wissenschaft vorgab. Das Tiermehl gilt als alleiniges Vehikel der BSE-Infektion; zugleich hält man den Verzehr von BSE-infiziertem Rindfleisch für die Ursache der Variante Creutzfeldt-Jakob-Krankheit beim Menschen.

Kommentarvon JÜRGEN KRÖNIG

Diese Thesen haben beinah den Charakter eines religiösen Dogmas angenommen. Doch die Widersprüche häufen sich. Die britische Fleischmehlindustrie exportierte hunderttausende Tonnen von Tiermehl nach Belgien, Frankreich, Südafrika und in den Nahen Osten – folglich hätte weltweit eine Epidemie ausbrechen müssen. Überdies ist es nicht gelungen, in Versuchsherden auch nur eine einzige Kuh durch die Verfütterung dieses unappetitlichen Zeugs erkranken zu lassen.

Vor allem aber steht – trotz des von Politik, Medien und Wissenschaft verbreiteten Eindrucks – nicht fest, dass Fleischverzehr zum Tod von bislang über 80 jungen Menschen geführt hat.

Neue Erkenntnisse weisen in eine andere Richtung. BSE und vCJK könnten durch eine Kombination von Umweltfaktoren wie hochgiftigen Chemikalien und Schwermetallen ausgelöst worden sein. Labortests in London erbrachten, dass bestimmte Pestizide die Empfänglichkeit für BSE zumindest erhöhen.

So hat Großbritannien als erstes Land in den 80er-Jahren die gesamten Rinderherden mit einem Pestizid behandeln lassen, um die Dasselfliege auszurotten. Biochemiker der Universität Cambridge wiesen zudem nach, dass auch hohe Dosen des Schwermetalls Mangan zu krankhaften Eiweißformen führen können.

Schwermetalle und Chemikalien sind in der Agrarwirtschaft allgegenwärtig. Hühnerkot, hoch belastet mit Mangan, wurde überall in Europa in das Tiermehl hineingemischt, ebenso Fettextrakte aus chemisch verseuchten Kloakenschlämmen. Großbritannien ist Kernland der Prionenkrankheiten, weil man dort intensiver und früher dubiose Praktiken angewendet hat. Doch die Risikofaktoren für diese neuen, postindustriellen Umweltkrankheiten gibt es überall.

Korrespondent der „Zeit“ in London