Der Schwarzkehlhoniganzeiger

■ Die EuropaChorAkademie zelebrierte Olivier Messiaens „Transfiguration de Notre Seigneur Jésus Christ“

Es gibt Termine, wo Ausreden nicht zählen. Insofern hat Bremens kulturell interessiertes Publikum gleich zu Beginn dieser Rezension eine Beschimpfung verdient: Wie kann es angehen, dass zu einer Aufführung, deren Seltenheits- und künstlerischen Sensationswert man gar nicht genug betonen kann, nur knapp dreihundert Menschen in die Glocke kommen?

Vermutlich liegt es daran, dass das absolut Einmalige dieser Aufführung noch immer nicht hinreichend bekannt ist. Nun denn: Was ist so einzigartig an der „Transfiguration de Notre Seigneur Jésus-Christ“ von Olivier Messiaen, jenem französischen Komponisten, der so disparate Dinge wie den katholischen Glauben, die Liebe zu den Vögeln und die Beziehungen zu Klang und Farbe als Leitlinien seines Schaffens bezeichnete?

Das 1965-69 entstandene, hundertminütige Werk, das Messiaen selbst als eines seiner besten bezeichnet hat, verlangt die gewaltige Anzahl von 216 MusikerInnen – eine Anforderung, an der jeder „normale“ sinfonische Apparat scheitert. Die Koordination von 100 ChorsängerInnen, 68 StreicherInnen, 18 HolzbläserInnen, 17 BlechbläserInnen, sechs SchlagzeugerInnen und sieben InstrumentalsolistInnen scheint jedes machbare organisatorische und finanzielle Maß zunächst einmal zu übersteigen, vom technischen und interpretatorischen Anspruch ganz zu schweigen.

Der Dirigent Sylvain Cambreling hatte die von Joshard Daus trefflich vorbereitete EuropaChorAkademie und das SWR Sinfonieorchester Baden Baden, dessen Chefdirigent er als Nachfolger von Michael Gielen seit 1999 ist, nahezu perfekt in der Hand. Für die „Transfiguration“, also die Verklärung Jesu, hat Messiaen ausgewählte Texte aus der Bibel, dazu Texte des Kirchenvaters Thomas von Aquin und dem katholischen Messbuch zur Grundlage gewählt.

Sie alle sprechen von der Herrlichkeit, auch dem Schrecken der Herrlichkeit und setzen diese überdimensionalen Gefühle mit den Messiaen eigenen Mitteln um: den riesigen Akkordclustern, die als Farben verstanden werden wollen, der Transposition von Vogelstimmen, die als die Repräsentanz der Größe Gottes angesehen werden wollen und den indischen Rhythmen. Messiaens alles sprengende Musik baute Cambreling mit einer unerhört markanten Transparenz auf, so klar, dass manches klang wie messerscharfe Blitze.

Die wuchtige und unglaublich gut disponierte Deutlichkeit dieser Interpretation, die jeden Anklang von religiöser Affirmation zu vermeiden bedacht war, schlug um in eine Faszination, die noch den letzten Heiden im Saal zu erreichen schien. Auch wenn man von den Farbvorstellungen Messiaens nichts weiß, sind die Akkorde mit einer gewollten Akribie aufgebaut, die keinen Zufall zulassen: Und dann gelingt es schon, einen Ackord, wie Messiaen es vorschwebt, als grün-schwarz oder als malve-rosé zu hören.

Die Begründung für die Entwicklung von Farbvorstellungen für die Komposition, womit Messiaen übrigens in der Kompositionsgeschichte des 20. Jahrhunderts ganz allein dasteht, bezieht Messaien aus der Offenabrung des Johannes, in der es ständig um Farben geht: „Wenn die Gottheit sich offenbart, dann sagt der Heilige Johannes nicht: 'Ich sehe Gott', sondern 'Ich sehe einen Regenbogen um den Thron, und dieser Regenbogen ist grün wie ein Smaragd, der auf dem Thron sitzt, gleich dem Rot von Jaspis und Sarder...'“. Aber auch von grüngestreiftem Blau, von goldgeflecktem Schwarz und von milchweiß gesprenkeltem Orange ist da die Rede. Von seinen vielen ornitologischen Forschungen hat sich Messiaen für dieses Werk u.a. den Schwarzkehlhoniganzeiger, den Dreifarbenglanzstar, den Rotkehlhüttensänger, den Olivenspötter, die Tropenspottdrossel, den Wüstengimpel und die Mönchsgrasmücke zu Nutze gemacht: „...ich verwende diese Vögel, weil für mich diese Tiere die größten Komponisten sind – sehr viel größere als Menschen!“ hatte er einmal gesagt.

Die Eigenartigkeit dieser Musik, diese Mischung aus Archaik und kunstvoller Konstruktion, ihre immense Gewalt kann man kaum besser machen als den Ausführenden es an diesem von der Hochschule Bremen organisiertem Abend gelang. Genannt werden müssen noch die fabelhaften SolistInnen Florent Boffard (Klavier), Horst Friedel, Jochen Schorer und Franz Lang (Schlagzeug), Reinhard Latzko (Cello), Gunhil Ott (Flöte), Wolfhart Penz (Klarinette), die alle in ihrer Intensität und Eingebundenheit in das Geschehen maßgeblich zu dem überragenden Gesamteindruck beitrugen. Begeisterter Beifall beschloss diesen tollen Abend in der Glocke.

Ute Schalz-Laurenze