Wider das Toskana-Verbot

■ Die EXPO-Ausstellung ist längst ausgezogen aus dem schönen renovierten Packhaus im Schnoor. Jetzt nimmt der bbk seine Kunst und setzt sie dort ab

Im Unterschied zu seinen letzten Jahresausstellungen hat der Berufsverband Bildender Künstler bbk diesmal auf eine Qualitätskontrolle in Form einer Jurierung verzichtet. JedeR darf also hängen. Aber warum? Zugegeben, wir hätten mal nachfragen können, was die Beweggründe für solche Großherzigkeit sind. Ham wa aber nich. Deshalb zwei Mutmaßungen. Erstens stößt die Unterscheidung in Hui- und aussortierte Pfui-Mitglieder bei den Pfui-Mitgliedern wahrscheinlich (oder naturgemäß) auf wenig Gegenliebe. Zweitens ist es in Zeiten von tausenderlei unterschiedlichsten Retro-, Post-, Crossover- und Zitat-Konzepten eigentlich nicht mehr möglich, sich auf gültige Qualitätskriterien zu einigen; und das Wörtchen „eigentlich“ steht im letzten Satz eigentlich auch nur noch, weil man weiß, dass man nichts weiß, nicht mal mehr, ob es korrekt ist, sich zum Nichtwissen und Allesgeltenlassen entschlossen zu haben.

Selbst die Restauratoren des Packhauses waren offenbar von dieser schönen Verunsicherung infiltriert. Sie ließen vorsichtshalber auf dem fleischfarbenen Bröselgemäuer im Parterre die eher nichtssagenden Graffities aus der Zeit der vorletzten Jahrhunderwende (1903, 1907 ...) unangetastet. Bemerkenswert an diesen frühen Dokumenten des Vandalismus ist allerdings ein kleiner Rechtschreibfehler: „Bismark“, mit k, frei nach bissiger Mark, und daneben hat sich ausgerechnet ein Herr „Schröder“ verewigt. Und dann ist da noch der Satzsplitter „Der kleine Cohn im Bade“.

Ach ja die Ausstellung: Um trotz anything goes den Eindruck von Flohmarkt-Verwilderung zu vermeiden (warum eigentlich?), hat man sich zu einer Formatvorgabe entschlossen, es sind 50 mal 50 Zentimeter, wohl wissend, dass heutzutage Beschränkungen oft als Anregung und Herausforderung empfunden werden – und es wohl auch sind. Aber irgendwie wirkt es brutal, wie da alles und jedes in ein strenges Präsentationsmuster gezwängt wird. Informels, Konzeptuelles, hübsche Stadtansicht, glattpolierte, metaphysische Landschaft, Collagen mit Becksdose oder Florentiner Dom, Ornamente in orangefarbenem Filz, nostalgiegetönte Fotos von normalkrummen Beinen, entweder als Viererkette horizontal anordnet oder in Zwei-mal-drei-Gruppierung vertikal, sauber wie Badezimmerkacheln. Da ist schon eine gewisse Zeit nötig, jedes Bild als eigenständiges Ganzes statt als Teil eines Musters wahrzunehmen; aber genau das ist auch spannend.

Bei den Skulpturen geht das einfacher. Spätestens beim poppigen „Akupunktierten Bären“ von Jenny Löbert fällt aber auf, dass mit Ausnahme dieses Bären jüngere Positionen und das, was manchmal erweiterter Kunstbegriff genannt wird, eher fehlen, ganz im Unterschied zur vorletzten bbk-Ausstellung im Güterbahnhof: vermutlich eine Folge der Formatvorgabe. Dafür findet man Dinge, die sonst vielleicht zu Unrecht ausgegrenzt werden: Blumiges auf Goldfolie oder Hinterglasmalerei mit Toskana-Idyll. Warum eigentlich sollen Toskana-Idyllen in der Kunst verboten sein?

Ari Hartog vom Gerhard-Marcks-Haus hat die Bilder so gruppiert, dass gleichzeitig Analogien und Unterschiede ins Auge springen. Zum Beispiel bewohnen die hingeworfenen düsteren Skizzen zu Kresniks Inszenierung „Die letzten Tage der Menschheit“ von Helmut Rieländer dieselbe Stellwand wie Annette Stemanns bunte, präzis ausgemalte Tableaus, die wie die Filmstills eines Thrillers wirken. Beides sind gefrorene Geschichten, aber Malduktus und Stimmung sind denkbar verschieden.

Durch solche Verbindungslinien kann manch vertrauter Stil altbewährter bbk'ler neu gelesen werden – die fragilen, fensterlosen, dafür aber fahrbaren Häuser Dieter Begemanns oder die messerscharfen Zeichnungen Niko Timms. Und am Ende bleibt ein Staunen, wie viele verschiedene Sprachen Kunst heute sprechen kann. Nicht verpassen sollte man das kitschige, lebensgroße, maschinenbetriebene Puppenspiel „Die Bremer Stadtmusikanten“ im angrenzenden Raum. Wahrscheinlich auch ein Expo-Relikt, vermutet Begemann. Nach der Sehschulung durch die Ausstellung offenbart es plötzlich einen merkwürdigen Pop-art-Charme. bk

Bis 7.1., Mo-Fr 15-20 Uhr, Sa+So 14-18 Uhr