FDP-FÜHRUNGSDISKUSSION: GUIDO WESTERWELLE SOLLTE MUT ZEIGEN
: Der Wunsch nach dem naiven Wähler

Kinder spielen das gerne: Ich weiß, dass du weißt, dass ich weiß, dass du weißt, dass ich lüge. Wer weiß nun mehr? Es gibt kaum eine unterhaltsamere Art und Weise, abstraktes Denken zu erlernen. Wenn dieses Spiel allerdings in einer parlamentarischen Demokratie für den Höhepunkt politischer Strategie gehalten wird, dann gibt es Anlass zur Besorgnis. Gegenwärtig vergnügt sich das Führungspersonal der FDP damit.

Das Verhalten von Generalsekretär Guido Westerwelle erscheint überaus rational, solange der Tunnelblick starr auf taktische Gepflogenheiten gerichtet bleibt. Führungsdiskussionen vor Landtagswahlen schaden einer Partei, und der Erfolg jeglicher Kandidatur hängt stets auch vom richtigen Zeitpunkt ab. Also gibt Westerwelle nicht zu, was alle längst wissen: dass er sich nämlich sehr gerne zum FDP-Vorsitzenden wählen ließe. Und sein Chef Wolfgang Gerhardt schickt den Generalsekretär auch nicht ins Pfefferland, sondern betont dessen Bedeutung. So weit, so öd.

Wie oft hat man das alles so oder ähnlich schon gehört? Von Kohl und Schäuble, von Lafontaine und Scharping, von Schröder und Lafontaine und von ungezählten anderen Politikern, an die man sich zu Recht kaum erinnern kann? Vorgänge wie dieser sind allen politisch Interessierten vertraut. Offen bleibt stets lediglich, ob die Akteure die Bevölkerung tatsächlich für naiv halten – oder ob sie der Meinung sind, dass es auf persönliche Glaubwürdigkeit gar nicht so sehr ankommt. Beide Möglichkeiten werfen ein bezeichnendes Licht auf den geringen Stellenwert, den Spitzenpolitiker dem Urteilsvermögen der Öffentlichkeit einräumen.

Westerwelle ist oft vorgeworfen worden, ein politischer Schaumschläger zu sein. Das ist ungerecht. Er und Gerhardt ziehen eben nicht an demselben Strang, sondern sie repräsentieren zwei sehr unterschiedliche Richtungen innerhalb der FDP. Was sagt es eigentlich über die politische Klasse aus, wenn Leitartikler und Parteipolitiker übereinstimmend meinen, es sei unklug, der Bevölkerung bereits vor Wahlen mitzuteilen, für welchen Kurs sie sich mit ihrer Stimme entscheide?

Aber es geht bei internen Machtkämpfen ja nicht nur um die Kursbestimmung – es geht immer auch darum, ein Seil zu finden, das den Absturz verhindert. Niederlagen in der Politik wollen abgefedert sein und sollen möglichst folgenlos für die weitere Karriere bleiben. Wenn Westerwelle jetzt wirklich zurückträte und zugleich seinen Hut in den Ring würfe: er hätte so viel Ehrlichkeit und Mut bewiesen, dass es seiner Partei eigentlich nutzen müsste. Er wird es nicht tun. BETTINA GAUS