Jeden Tag vier Bier

Jeder zweite deutsche Mann hat Alkoholprobleme. Über Suchtkarriere von Frauen entscheidet Bildungsstand

BERLIN taz ■ Nur Tschechen und Iren trinken mehr: Vier Gläser Bier kippt der deutsche Durchschnittsbürger pro Tag. Kein Wunder, dass laut Suchtbericht jeder zweite Mann Alkoholprobleme hat. „Neben Tabak ist Alkohol nach wie vor Deutschlands Suchtproblem Nummer eins“, sagte der Geschäftsführer der Deutschen Hauptstelle gegen die Suchtgefahren (DHS), Horst Hüllinghaus, gestern bei der Präsentation des „Jahrbuchs Sucht 2001“ in Berlin.

Doch nicht nur Männer gucken zu tief ins Glas. Erstmals rückt die Studie das Suchtverhalten von Frauen stärker ins Blickfeld. Entscheidend für deren Suchtkarriere seien die Lebensumstände, betonte die Vorsitzende der Drogen- und Suchtkommission beim Bundesgesundheitsministerium, Alexa Franke. Bei hohen sozialen Belastungen seien Frauen besonders anfällig. Abhängige Frauen lebten zudem häufig alleine. „Daraus könnte man den Schluss ziehen, dass das Leben in Partnerschaften präventiv wirkt.“

Vom Bildungsstand hängt ab, welche Drogen frau konsumiert. Frauen mit Abitur, Studium und gutem Job greifen eher zur Flasche. Wer einen schlechten Schulabschluss, keine Ausbildung und keinen Job hat, ist anfälliger für Medikamentensucht. Franke gibt den Ärzten eine Mitschuld: Sie verschrieben Patientinnen dreimal so häufig Psychopharmaka. „Frauen werden viel eher ruhiggestellt.“

Die Folgen der Sucht muss die Gesellschaft tragen. Auf 40 Milliarden Mark beziffert Eckhart Bergmann, Wissenschaftler am Berliner Robert-Koch-Institut, den gesamtgesellschaftlichen Schaden durch Alkoholsucht. Zu den Behandlungskosten kommt das, was die Wissenschaftler nüchtern „Verlust an volkswirtschaftlichen Werten“ nennen: Arbeitsausfälle oder gar vorzeitiger Tod der Suchtkranken. 850.000 Menschen machte der Alkohol im vergangenen Jahr arbeitsunfähig, 570.000 landeten im Krankenhaus, 40.000 mussten zur Reha. 42.000 Menschen starben 1999 gar an den Folgen ihrer Sucht – immerhin 4,7 Prozent aller Verstorbenen. Im Schnitt waren die Suchtopfer nicht älter als 55 Jahre. Bei ihrer Kalkulation haben die Wissenschaftler einen Bereich noch gar nicht berücksichtigt: die Kriminalität. „Die Studie unterschätzt das wahre Niveau eher noch“, glaubt denn auch Gesundheitswissenschaftler Bergmann.

Beim Geld will auch die DHS ansetzen. Ihre Strategie gegen den Drogenmissbrauch: höhere Preise und weniger Werbung. Elf Milliarden Mark hat die Alkoholindustrie 1999 für Werbeplakate und -spots ausgegeben. „Wir fordern nicht totale Abstinenz oder gar Prohibition“, sagt der Geschäftsführer des Fachverbandes Drogen und Rauschmittel, Jost Leune. „Doch es gibt keinen vernünftigen Grund, für gesundheitsschädliche Stoffe auch noch zu werben.“ NM