„Ausspucken gibt’s bei uns nicht“

Interview: GEORG LÖWISCH

taz: Herr Klink, was ist Ihnen heute Früh schon alles über die Zunge spaziert?

Vincent Klink: Ich esse eigentlich viel weniger, als es aussieht. Vormittags meistens eine Scheibe italienisches Weißbrot mit Salz drauf. Das war’s dann.

Meistens?

Wir haben heute so Lamm in der Mache, und da fisch ich mir ab und zu so einen Brocken aus der Pfanne.

Und da kommen im Laufe des Tages ein paar geschmelzte Maultaschen oder eine Apfeltarte mit Zimteis dazu?

Ja, aber das sind nur Winzigkeiten. Es muss schließlich alles probiert werden. Da kann man sich nicht mit Maultaschen vollhauen und hat dann keine Kondition mehr, um alles andere zu probieren. Etwas Beherrschung muss man sich aufzwingen, egal wie gut die Maultaschen schmecken. Obwohl, manchmal gelingt mir das nicht.

Verlieren Sie bei der ganzen Probiererei nicht den Appetit?

Wenn ich satt bin schon. Deshalb muss man das ziemlich taktisch machen.

Taktisch?

Man darf einfach nicht, wenn etwas sehr gut schmeckt, noch fünfmal nachprobieren. Das ist gar nicht gut für einen Koch, wenn er satt ist.

Die Weinkoster spucken ja bei den Proben manchmal den Riesling in einen Eimer. Das könnten Sie doch mit den Maultaschen auch machen.

Ausspucken gibt’s bei uns nicht. Das ist ein Frevel. Und bei einem Esslöffel tritt noch kein Rauschzustand ein, obwohl wir schon verdammt gut kochen.

Haben Sie auch schon mal gefastet?

Ja freilich, ich habe gerade zehn Kilo abgenommen. Einfach weniger genascht. Aber nicht aus ethischen oder religiösen Gründen, das wär mir zu blöd.

Warum dann?

Damit ich ein wenig schneller und frischer bin. Jetzt wiege ich 100 Kilo. Das ist bei 1,78 m mein Idealgewicht.

1,87 m?

1,78 m. Das ist nicht völlig verfettet, aber gut beinander. Jeder hat ja sein Urgewicht, um das er kämpft.

Sie haben einmal gesagt, die meisten Menschen könnten nicht mehr schmecken. Warum?

Wenn Sie ein Aquarell malen wollen und die Farben schön abstimmen wollen, dann können Sie nicht blind sein. Man muss wissen: Wenn man Gelb und Blau zusammenschmiert, gibt das Grün. Und wenn Sie einen Kartoffelsalat machen wollen, dann müssen Sie einmal im Leben einen wirklich guten gegessen haben. Ich muss bei der Würzerei ja wissen, wo die Reise hingeht. Deswegen nützen viele Rezepte nichts, die man nachkocht, wenn man das nie in perfektem Zustand gegessen hat.

Kann man Schmecken lernen?

Das muss man lernen. Es gibt da einen gewaltigen kulinarischen Bildungsnotstand: Es gibt Halbwüchsige, die finden ein Gummibärle besser als eine Taubenpastete und meinen, Taubenpastete muss nach Gummibärle schmecken. Die Nahrungsmittelindustrie nutzt das brutal aus. Nehmen wir einen Hamburger: Da ist alles drin, was der infantile Wille gern erfüllt sieht. Zum Beispiel die Farbe Rot können die meisten leiden, dann sind die Dinge süß, scharf, salzig. Das ist raffiniert.

Wo haben Sie das Schmecken gelernt? Im feinen Restaurant Humplmayer in München, wo Sie als junger Koch waren?

Nein, das lernt man schon als kleines Kind. So als Zwei- oder Dreijähriger will man nur pappsüßes Zeug. Aber viel kann man schon als Kind entscheiden. Als Fünfjähriger habe ich daheim die Mutter gefragt: „Was gibt’s?“, bin dann einen Stock höher und habe bei den Nachbarn gefragt. Dort, wo es am besten war, hab ich mich niedergelassen.

Und Ihrer Mutter haben Sie dann noch Kirschwasser abgequengelt. Das hat erst mal alles Pappsüße weggeätzt.

Nein, durch das Kirschwasser habe ich gelernt, dass man nicht in alles reinbeißen oder alles in sich reinschütten darf. Die Nase ist unsere Alarmanlage, die Zunge kommt als zweite Schildwache, da kann man es immer noch ausspucken. Wenn es dann im Hals ist, gibt es kein Zurück, da schmeckt man dann nichts mehr. Heutzutage schlingen die Leute sehr häufig was rein und merken erst zu spät: Oh Scheiße. Aber da ist die Hälfte schon unten.

Sie haben Rind auf der Karte. Zaininger Milchkalbschulter zum Beispiel. Sind Sie nicht misstrauisch, dass so ein Milchkalb BSE hat?

Nein, nicht in dem Moment, wo ich weiß, wo das Kalb herkommt, und wo ich weiß, dass es auf dem Bauernhof noch nie Tiermehl gab. Man muss zwischen kleinen Bauern auf der schwäbischen Alb und der Massentierzucht unterscheiden. Den Bauern aus Zainingen kenn ich, den Metzger kenn ich. Da gibt es keinen Zukauf aus fremden Zuchten.

Ihr Berliner Kollege Mathias Buchholz, Koch des Jahres, setzt nur noch auf Fleisch aus Nordamerika und Argentinien.

Nordamerika kommt für mich nicht in Frage, weil diese Tiere mit Hormonen gefüttert werden.

Aber vielleicht droht da kein BSE.

Das nicht. Aber da wächst einem eben ein Busen.

Oh je.

Und das argentinische Fleisch halt ich ja für das Allerletzte. Das wird dort einvakuumiert und säuert in Schiffsbäuchen vor sich hin. Es ist natürlich butterzart, weil es so fermentiert ist, dass es fast von selber auseinander fliegt. Das schmeckt nicht nach Fleisch, sondern hat diesen erstickten Vakuumgeschmack mit leicht säuerlicher Note, der fleischgewordene Mundgeruch. Deswegen wurde sicher auch das Pfeffersteak erfunden, weil die meisten nicht wissen, wie Fleisch schmeckt, das an der Luft abgehangen ist.

Aber Sie haben kein BSE-Problem?

So wie es in Deutschland jetzt läuft und solange keine Leute dran sterben, ist es das Beste, was mir als Naturschützer passieren kann. Dass Leute merken, dass sich Fleisch nicht wie Autoreifen fertigen lässt, finde ich schön.

Sie sind doch Tierarztsohn, da können Sie doch nicht über BSE jubeln.

Jubeln nicht, weil es schon schlimm ist. Aber es ist eingetroffen, was schon seit Jahren eine fanatische Meise von mir ist: dass man gedankenvoller mit dem Fleisch umgehen muss. Ich weiß noch, was für ein heiliges Ritual es war, wenn bei meinem Opa ein Schwein geschlachtet wurde. Da müssen wir wieder hin. Fleisch muss doppelt so teuer werden, eine Sonntagsfreude.

Stimmt es, dass bei Ihnen auch der Chef von McDonald’s Stuttgart isst?

Natürlich. Der wäre ja ein Idiot, wenn er nur sein eigenes Zeug essen würde. Das ist ein wunderbarer Typ, wir sind sogar lose befreundet.

Sagen da nicht die Leute: „Der Klink predigt gedankenvolle Ernährung, kocht für den McDonald’s-Chef, und in Untertürkheim gibt es Kottelets aus dem Gefrierregal“?

Tja, ich könnte genauso sagen, wenn jemand aus der Autoindustrie kommt: „Die lass ich nicht rein.“ Im Grunde ist der McDonald’s-Mann mindestens so pc wie der Versicherungschef. Aber ich bin ja nicht nur Koch, sondern auch Wirt. Und alle, die kommen, wissen, dass ich Sympathien für die Grünen habe, allerdings mehr für die Basis.

Die Stuttgarter haben’s ja eh mehr mit der CDU.

Ich freu mich, dass ich auch Kundschaft von der CDU habe. Das war vor 20 Jahren nicht so. Wenn man da einen linken Gedanken hatte, war man bei den Unternehmern unten durch. Heute essen bei mir der Kommunist, der Student und der Konzernchef. Da bin ich froh drum, dass bei mir alle Schichten essen und sich vertragen.

Alle können sich das „Schwäbische Menü“ für 128 Mark nicht leisten.

Das ist klar. Wer Sozialhilfe kriegt, kann sich normalerweise auch kein taz-Abo leisten. Natürlich kann sich ein Teil der Leute auch mein Essen nicht leisten.

Macht Sie das traurig?

Traurig nicht. Aber es ist kein schönes Gefühl. Umgekehrt wäre es besser.

Wie können Arme so essen, wie Sie sich das vorstellen?

Im Grunde ist es ein Verteilungsproblem. Auf dem Land ist so ein Sack Kartoffeln ziemlich billig. Aber bis der in der Stadt ist, das ist ein Problem. Ich bin dafür, dass die Bauern mehr in die Stadt fahren, mit dem Traktor an der Ecke ihre Karre hinstellen und verkaufen. Der Schwarzmarkt gehört wieder eingeführt. Beim Essen sollte das Finanzamt außen vor bleiben, das wäre ein echter Auftrag für Rot-Grün.

Es gab ja vor 200 Jahren den bayerischen Grafen Rumford. Der erfand eine Suppe, mit denen die Armen gespeist wurden. Werden Sie doch Graf!

Der hat wirklich etwas Tolles gemacht. Man kann diese Eintöpfe und solche Sachen billig und gut machen. In Stuttgart gibt es schon so einen Suppenladen, wo dann aber alle bezahlen. Das wäre was: Wer kein Geld hat, zahlt nichts, und wer ordentliche Klamotten anhat, zahlt für den anderen mit. Ich glaub, dass das sogar alles funktionieren würde.

Wie billig könnten Sie das 128-Mark-Menü kochen?

Wenn man nicht dran verdienen will und die Köche das kostenlos machen, sind wir vielleicht insgesamt bei 15 oder zwölf Mark, bei bester Qualität.

Wieso kochen Sie nicht für Arme, wenn Sie mal keine Lust mehr auf Ihr Restaurant haben?

Ich könnte mir auch vorstellen, dass ich dann von den Menschen die Schnauze voll habe. Ich bin ja nicht Jesus. Und ich weiß auch nicht, ob diese übertriebene Menschenfreundlichkeit funktionieren würde. Es gibt auch genug Menschen, denen kann man nicht helfen. Die Masse isst ja nicht immer schlechter, weil Deutschland ein armes Land ist, sondern weil für die meisten die Armutsgrenze bei Mallorca entlangläuft.

Herr Klink, wenn Sie an der Himmelspforte stehen, was wünschten Sie sich, dass Gott Ihnen serviert?

Wenn ich dort oben stehe? Ich werd ganz woanders stehen. Ich stehe wahrscheinlich in der Hölle. Und da gibt’s höllenheißes Gulasch. Manna mag ich nicht, das ist nichts für mich.