Schlacht um Gefängnisse

Sondereinheiten stürmen türkische Knäste, um Hungerstreik zu brechen. Gefangene wehren sich. Es gibt Todesopfer

aus Istanbul JÜRGEN GOTTSCHLICH

Der Sturm begann im Morgengrauen. Tausende von Soldaten der Gendarmerie und Sondereinheiten der Polizei setzten sich gestern in Bewegung, um gewaltsam einen seit nunmehr 61 Tagen andauernden Hungerstreik in 20 türkischen Gefängnissen zu beenden. Da die Gefangenen sich in ihren Trakten verbarrikadiert hatten, wurden teilweise Bulldozer eingesetzt, um Mauern einzureißen. Vor allem in den beiden großen Istanbuler Haftanstalten Bayrampasa und Ümraniye leisteten die Gefangenen erbitterten Widerstand. Justizminister Hikmet Sami Türk bestätigte, dass vier Gefangene entweder erschossen wurden oder sich selbst verbrannt hätten und zwei Soldaten getötet wurden. Die Menschrechtsorganisation IHD meldete sechs tote Gefangene.

Im Bayrampasa-Gefängnis hatten rund 400 Häftlinge Teile des Gefängnisses in Brand gesetzt. Sie sollen angeblich mit Kalaschnikow-Maschinengewehren bewaffnet sein und den Soldaten regelrechte Gefechte liefern. Journalisten und Angehörige der Gefangenen, die am frühen Morgen nach Bayrampasa geeilt waren, wurden entweder festgenommen oder zurückgedrängt.

Der Privatsender ntv zeigte Bilder, wie Sondereinsatztruppen versuchten, über das Dach des Gefängnisses in das Gebäude einzudringen, während draußen gepanzerte Fahrzeuge vorfuhren. Aus einem abgehörten Telefonat schließt die Polizei, dass die Selbstverbrennungen von außen durch Angehörige der linken Organisation, denen die Hungerstreikenden angehören, angeordnet wurden.

Justizminister Hikmet Sami Türk rechtfertigte die Operation in einem dramatischen Appell an die Angehörigen der Gefangenen, die er aufforderte, mitzuhelfen, dass der Hungerstreik beendet wird: „Das ist eine Operation, um Leben zu retten.“ Ähnlich äußerte sich Ministerpräsident Ecevit: „Das ist eine Operation, um die Terroristen vor ihrem eigenen Terrorismus zu beschützen.“

JG