Eroberungen am Helmholtzplatz

Seitdem Ines Saager (CDU), Sozialstadträtin von Prenzlauer Berg, von der Eroberung des Helmholtzplatzes durch Alkoholiker sprach, ist eine neue Runde um die Zukunft des Quartiers eingeläutet. Es geht um die Frage, wer erwünscht ist und wer nicht

Für die einen ist der „Helmi“ attraktive Wohngegend, für die andern sozialer Raum Ein Beispiel für den Umgang mit Armuts- und Konfliktquartieren

von UWE RADA

Als Wirtschaftsstadträtin von Prenzlauer Berg bemüht sich Ines Saager mit Vorliebe um die Ansiedlung von Computerfachleuten, Programmierern und Designern. Als Sozialstadträtin dagegen hat es die CDU-Politikerin mit einer anderen Bevölkerungsgruppe zu tun, vor allem auf dem Helmholtzplatz. Weil sich aber Obdachlose und Trinker auf der einen und die von Saager hofierten Vertreter der New Economy nicht immer aus dem Weg gehen können, hat die ehemalige Grüne im August, anlässlich der Eröffnung einer Fotoausstellung im Platzhaus auf dem Helmholtzplatz, einen offenen Brief geschrieben: „Die Fotos sind sehr eindrucksvoll, befassen sich jedoch mit dem Klientel, das das Platzhaus belagert und sich täglich zum Schaden der Nachbarschaft störend voll trinkt. Wen wundert es da, dass genau diese Klientel diese Ausstellung besichtigt.“ Weiter heißt es: „Als Nachbarin oder Bürger der Umgebung würde ich beim ersten Versuch in dieser Szene eine Ausstellung zu besichtigen, und keinen Fuß mehr in das Platzhaus – Haus der Alkoholszene setzen. Das Platzhaus ist erobert.“

Schon lange bevor Innensenator Eckart Werthebach (CDU) den Helmholtzplatz wegen der dortigen Haschischszene in die Liste der „gefährlichen Orte“ aufgenommen hat, war der Platz umkämpftes Terrain - sozial, politisch, symbolisch. Für die einen ist er eine attraktive Wohngegend mit gründerzeitlichem Ambiente und einer rasch wachsenden Kneipenszene. Für die anderen ist der „Helmi“ das Gegenstück zum Kollwitzplatz.

Während dort längst Touristen und gut betuchte Singles den Kiez erobert hätten, würde auf der anderen Seite der Prenzlauer Berger „Binnengrenze“, der Danziger Straße, noch Platz sein für Alteingesessene, Sozialhilfeempfänger, alternative Lebensformen. Entsprechend groß ist die Dichte an Initiativen und Projekten.

In der Dunckerstraße etwa befindet sich ein Kiezladen, in dem die Betroffenenvertretung und die Kiezinitiative „Wir bleiben alle“ tagen, eine Kinderbühne sowie die „Herbstlaube“, ein Selbsthilfeverein für engagierte Senioren.

Auf dem Platz selbst hat seit dem Juni des Jahres das Platzhaus geöffnet. Nach anfänglichem Zögern seitens des Bezirks wurde das frühere Toilettengebäude zum offenen Haus für die Anwohner umgebaut. „Öffentliche Begegnung und Kommunikation soll dort gefördert werden“, sagt Sonja Kemnitz, die Initiatorin des Platzhauses. Was so viel heißt, dass es um die offenen Räume draußen am Platz nicht mehr so gut bestellt ist.

Schon bevor die Stadträtin Saager zu Bleistift und Papier gegriffen hat, war die Situation am Helmholtzplatz mehrfach eskaliert. Anwohner hatten sich über das nächtliche Gegröle beschwert, die Polizei mehrere Razzien durchgeführt. Die Trinker wiederum fühlen sich seit Beginn der Platzsanierung an den Rand gedrängt.

Sonja Kemnitz sitzt am großen Tisch und bespricht sich mit einem Straßensozialarbeiter. „Dass es eine Stelle für Straßensozialarbeit gibt“, sagt sie, „ist schon ein Erfolg.“ Doch das reiche längst nicht. Kemnitz ist weit davon entfernt, die Probleme auf dem Helmholtzplatz schönzureden. Neben den Trinkern, weiß sie, sind es vor allem die Drogendealer, die am Platz Probleme bereiten. Dem gegenüber stünden viele Anwohner, die sich über Ruhestörungen beklagen, oder Mütter, die sich mit ihren Kindern nicht mehr auf den Platz trauten.

Kemnitz spricht aber auch über die anderen Entwicklungen, die dem Sanierungsgebiet Helmholtzplatz im Gutachten des Stadtsoziologen Hartmut Häußermann bereits 1997 den zweifelhaften Rang eines „Problemquartiers“ verliehen hatten. Die Arbeitslosigkeit liegt mit 25 Prozent weit über dem Bezirksdurchschnitt, das Haushaltseinkommen deutlich darunter. Mehr als 40 Prozent der Haushalte verfügen über ein Monatseinkommen von weniger als 1.800 Mark, 15 Prozent der Haushalte haben sogar weniger als 1.000 Mark.

Hinzu kommt eine ständig steigende Fluktuation. Wurde die Bevölkerung in Prenzlauer Berg seit der Wende ohnehin schon zur Hälfte ausgetauscht, sind im Helmholtzkiez bereits wieder 50 Prozent derer weggezogen, die in den vergangenen Jahren ins Quartier zwischen Stargarder und Danziger Straße kamen.

Nicht nur als gefährlicher Ort gilt der Helmholtzplatz deshalb, sondern auch als „Problemgebiet“, dem man seit vergangenen Jahr ein „Quartiersmanagement“ verordnet hat. Nur: Was soll dort wie gemanagt werden?

„Der Helmi“, sagt Sonja Kemnitz, „ist ein klassisches ‚Arme-Leute-Viertel‘ “. Das müssten auch die Sanierungsverantwortlichen zur Kennntis nehmen. Doch im Bezirk und beim Sanierungsträger S.T.E.R.N., befürchtet sie, habe man eine Aufwertung des Gebiets zum Ziel, die den Schutz der ansässigen Bewohner vor Verdrängung zu wenig berücksichtige.

Von der Immobilienszene ist der Platz längst erobert. „Eckkomfortaltbau nahe Helmholtzplatz!“, heißt es in einer Internetanzeige der Webmakler von immosite.de. „Diese Gegend“, wirbt man dort verheißungsvoll, „steht auf der Wunschliste der begehrten Wohnlagen ganz weit oben!“ Entsprechend hoch ist auch der Preis für den „Eckkomfortaltbau“. Fünf Millionen soll das Haus kosten, die Mieteinnahmen von derzeit 289.000 Mark ließen sich leicht auf 417.000 Mark erhöhen.

Doch nicht nur als Wohnanlage ist der Helmi begehrt, sondern auch als Treffpunkt für die Boheme der neuen Mitte. Kein Wunder, dass sich etwa der frühere Bundesbauminister Klaus Töpfer (CDU) nicht wie Bill Clinton am Kollwitzplatz zeigte, sondern seinen Feierabendschoppen lieber im „Weinstein“ trank. Was die Kneipendichte und die Preise betrifft, muss die Lychener Straße an der Westseite des Platzes schon längst keinen Vergleich mehr mit der Kollwitzstraße scheuen.

Für den Leiter des bezirklichen Grünflächenamtes, Wolfgang Krause, liegt es deshalb nahe, bei der Umgestaltung das neue Image des Quartiers zu berücksichtigen. „Das Vorbild hierzu ist für mich der Kollwitzplatz“. Den Alkoholikern will Krause zwar eine „separate Fläche“ zuweisen. „Aber wir wollen sie auch auf ein platzverträgliches Maß zurückdrängen, denn es kann nicht sein, dass eine Gruppe eine ganze Platzhälfte beherrscht.“

Umgestaltungen hat der Helmholtzplatz seit dem 19. Jahrhundert viele erlebt. Entstanden ist die Platzanlage nicht, weil James Hobrecht bei der Anlage seines Plans dem Berliner Nordosten einen Stadtplatz zugestand, sondern weil zwischen Raumer und Lettestraße eine riesige Ziegelei stand. „Später wurde die Ziegelei stillgelegt und der Platz geriet zum ersten Mal in die Diskussion“, sagt der Soziologe Andrej Holm, der die Geschichte des Platzes erforscht hat. „Weil in den leeren Räumen der Ziegelei Obdachlose Unterschlupf gefunden haben“, so Holm, „sind schon damals die Bewohner der Vorderhäuser auf die Barrikaden gegangen.“

Hundert Jahre später wurde die Umgestaltung erneut in Angriff genommen, zunächst vom Bezirk, nun von S.T.E.R.N., dem bezirklichen Sanierungsträger und Quartiersmanager. „Wir sind uns wohl bewusst, dass die Neugestaltung des Helmholtzplatzes eine Bedeutung hat, die weit über seine Rolle als Platz hinausgeht“, sagt Theo Winters, Geschäftsführer von S.T.E.R.N. in Prenzlauer Berg. „Der Platz steht für das ganze Gebiet.“

Der Großteil des Platzes ist bereits fertig gestellt. Die westliche Hälfte wurde vor allem zum Spiel- und Sportplatz für Kinder und Jugendliche hergerichtet. Während dieses Nutzungskonzept im Wesentlichen unumstritten war, ist die Nutzung der östlichen Hälfte hart umkämpft.

Das betrifft nicht nur das dortige Platzhaus, das die Wirtschafts- und Sozialstadträtin so umtreibt, sondern auch das ehemalige Trafohaus, jenen Ort, an dem sich die Alkoholikergruppe bis zur Einzäunung des Platzes regelmäßig getroffen hat. Im Plan der Landschaftsarchitekten Mittag und von Zadow, die mit dem zweiten Bauabschnitt der Platzsanierung beauftragt wurden, ist als Nutzung des ehemaligen Trafohäuschens ein Café eingezeichnet. „Gleich daneben“, sagt Sonja Kemnitz, „soll eine Liegewiese entstehen. Das ist doch bezeichnend.“

Kemnitz erzählt, ganz nebenbei, wie sie ein Skatturnier im Platzhaus organisieren wollte, für alle Anwohner, also auch die Alkis und für die Rentner des nahe gelegenen Vereins Herbstlaube. „Dabei wurde mir von verschiedener Seite bedeutet, dass ein solches Skatturnier derzeit nicht behilflich wäre“, sagt sie. „Man solle nicht noch mehr Beispiele geben, wie die Alkis das Platzhaus eroberten.“

Noch sprechen alle am Sanierungsgeschehen Beteiligten, von Theo Winters über die Quartiersmanager von S.T.E.R.N. bis zum Bezirksamt von einvernehmlichen Lösungen und von einer Moderation der Konflikte, die alle Nutzergruppen mit einbeziehe. Doch der Spielraum für eine solche Moderation ist ziemlich gering geworden. Vielmehr spitzen sich die Nutzungskonflikte am Helmholtzplatz mehr und mehr auf die Frage zu, wem der östliche Teil des Platzes gehören soll.

Dass in dieser Situation kaum noch von Moderation gesprochen werden kann, beklagten auch einige Teilnehmer einer Veranstaltung, die Mitte Dezember im Kiezladen in der Dunckerstraße stattfand. Zehn Jahre Aktivitäten der Initiative „Wir bleiben alle“ und das Sanierungsgeschehen im Bezirk sollten hier bilanziert werden. Dabei kam die Rede schnell auf den Helmholtzplatz, wo sich nun nicht mehr jene treffen, die ein gemeinsames politisches Anliegen oder gemeinsame Interessen haben, sondern jene, deren Nutzungsinteressen an diesem Ort scheinbar unversöhnlich aufeinander treffen.

„Im Grunde“, sagte ein Teilnehmer, „geht es hier doch darum, ob man Sanierung für die Schwächeren betreibt oder hier einen zweiten Kollwitzplatz will.“ Zwischen diesen beiden Positionen gebe es kaum Spielraum für Moderation. „Schließlich muss auch ein Moderator entscheiden, wo er hinwill.“

Am Helmholtzplatz sind, wie schon zuvor am Kollwitzplatz, die Räume für die Verlierer der Sanierungspolitik eng geworden. Je weniger Platz aber da ist, desto weniger Ausgleich ist möglich, desto mehr wird es tatsächlich zu Eroberungen kommen. Inzwischen ist CDU-Stadträtin Saager zwar etwas zurückgerudert, hat beteuert, im Prenzlauer Berg keine „hessische Kehrwoche“ einführen zu wollen. Doch der Streit um den Helmholtzplatz ist in eine neue, entscheidende Runde gegangen.

Für Bausenator Peter Strieder (SPD) etwa, dessen Verwaltung das Quartiersmanagement finanziert, steht schon lange fest, dass auch in so genannten Problemquartieren vor allem Angebote für Besserverdienende geschaffen werden sollen. Eine Ansicht, der sich inzwischen auch S.T.E.R.N. angeschlossen hat. Hinter dem Konflikt am Helmholtzplatz verbirgt sich damit auch eine Grundsatzentscheidung über den Umgang mit Armuts- und Konfliktquartieren.