piwik no script img

Schreckliches Durcheinander

Wolf Naum hat ein achttausend Quadratmeter großes Gehege im Wildpark Schorfheide bezogen. Dazu bekam er eine Wolfsgefährtin. Der Wolf lässt sich aber auch mit Pudeln oder Schakalen kreuzen

von HELMUT HÖGE

„Naumann ist endlich angekommen!“, freute sich mein Begleiter. Damit war aber nicht der Rowohlt-New-York-Wichtigtuer-Naumann gemeint, sondern der eher schüchterne, aus dem Osten zugewanderte Wolf Naum: Mitte Oktober hatte er nämlich ein neues, 8.000 Quadratmeter großes Gehege im Wildpark Schorfheide bezogen. 40.000 DM Fremdmittel benötigte die Verwaltung, um dem dreibeinigen Raubtier dieses finale Rettungs-Asyl zu schaffen. Das Geld gab paradoxerweise der Hamburger Verein „Vier Pfoten“. Damit Naum nicht so alleine ist, setzte man ihm sogleich noch ein Weibchen namens Mina mit ins Gehege.

Bei beiden Wölfen handelt es sich quasi um subproletaroide Kümmerexistenzen – mit denen ihre letztes Rudel nichts zu tun haben wollte. Jetzt sollen sich wenigstens die beiden zusammentun, um sich zu vermehren. Und ihre Jungwölfe sollen sodann in Brandenburg wieder angesiedelt werden. Dazu hat das dortige Umweltministerium bereits einen „Management-Plan“ verabschiedet. Das alles hört sich wie ein durchgeknallter Fake an, ist aber die reine Wahrheit und hat kerndeutsches System. Immer mehr Ostler verlassen die Mark, allein in Guben sind es allmonatlich 150, die gen Westen ziehen. Zurück bleiben am Ende bloß noch die staatlich alimentierten – quasi Einbeinigen. Die Bundesregierung rechnet mit mindestens 2 Millionen Ex-Republikflüchtigen bis zum Jahr 2004.

Damit verliert jedoch die „sicherste Grenze der Welt“ (nach Polen hin) ihre ganzen zivilen BGS-Hiwis, -Blockwarte und -Spitzel. Diese Sicherheitslücke sollen die Nachkommen des dreibeinigen Naumann schließen. Das Szenario ist simpel: die Schlepperbanden bringen die hilflosen Flüchtlinge bis an die grenznahen deutschen Fichtenschonungen – und dort stehen dann überall Schilder „Vorsicht! Deutsche Wölfe. Sie sind gewarnt“ (und das in allen Sprachen). Auf diese Weise muss sich die Anerkennungsstelle in Zirndorf nicht mit öden Asylanträgen befassen, sondern kann sich weiterhin dem Zusammensetzen der in der Wende zerschredderten Stasi-Akten widmen. Die dortigen Beamten sind bereits Vizeweltmeister im Puzzeln.

Die jetzt schon ziemlich wölfische Mark erhofft sich zudem durch ihren Echtwolf-Wiederansiedlungsplan einen Tourismusschub sondergleichen – für ihr Not leidendes Beherbergungs- und Gaststättengewerbe: „Grad für dunkelhäutige Westdeutsche könnte das hier ein wahrer Abenteuerurlaub werden“, so der Besitzer des Choriner Blitzrestaurants „Atzen wie bei Adi“.

Das Feuilleton leistet diesbezüglich bereits Schützenhilfe: So fragte zum Beispiel der Tagesspiegel am 12. 11. ganzseitig in einem „Plädoyer für grünes Wachstum: Ist der Wolf wirklich böse?“ Die Frankfurter Rundschau hatte sich zuvor, am 28. 10., ebenfalls ganzseitig mit „Abgründigkeiten“ wie „Der Wolf in uns“ beschäftigt. Und in der deutsch-türkischen Perșembe behauptete zur gleichen Zeit Aydin Engin: Auch „der graue Leitwolf will nach Europa“, wobei er sich auf den Parteitag der ultrarechten MHP berief. Ja, dem Vernehmen nach hat es sich bereits bis zu den sibirischsten Wölfen herumgesprochen: „Deutschland ist wieder offen!“ Dass Deutschland eigentlich schon immer ein Faible für Wald und Wölfe hatte, braucht hier nicht extra noch mal betont zu werden.

Zur Einweihung des Schorfheider Wolfsgeheges von Naumann und Mina sollten eigentlich die Puhdys aufspielen, stattdessen diskutierten die aus nah und fern angereisten Wolf-Fans jedoch – leise – über Puwos, Puschas und Pukos. Das sind Kreuzungen zwischen Pudel, Wolf, Schakal und Kojote. Von alleine würden diese Arten niemals auf die Idee kommen, ein Revier zu teilen, geschweige denn sich zu paaren. Aber die Kieler Biologin Dr. Dorit Feddersen-Petersen machte es möglich. Kein Witz! Und nun kann man dort an der Waterkant lustiges Verhalten erforschen. Während zum Beispiel Schakale nur ein kleines Repertoire eindeutiger Gesten und Laute besitzen, die je nach Intensität des Gefühls mehr oder weniger heftig vorgebracht werden, benutzen Pudel jedes Signal in verschiedenen Variationen, und das ohne erkennbares System. Man kennt das – aus den Begegnungen zwischen Rheinländern und Berlinern an FKK-Stränden etwa. Letztere sprühen deswegen gerne an ihre Hauswände den Spruch: „Rheinländer raus – Ausländer rein!“ Die Pudel nähern sich sofort den Schakalen, weil es für sie selbstverständlich ist, dass jetzt alle ein Rudel bilden und eine Rangordnung festgelegt werden muss. Die Schakale reagieren darauf jedoch sowohl mit Drohungs- als auch mit Unterwerfungsgesten – und schließlich zeigen sie durch ihr ganzes Verhalten, dass sie lieber unter sich bleiben möchten. Deswegen kam es erst zu einer Kreuzung – und damit zur Existenz von Puschas, als Frau Feddersen-Petersen einen Pudelrüden und eine Schakalin in ein Gehege sperrte. Hier machte sich dann aber die „Karnevalsdifferenz“ bemerkbar: Während der Pudel sich auch immer mal wieder gerne mit seinen Artgenossinnen paarte, hatte die Schakalin für Rüden ihrer eigenen Art nichts mehr übrig. Und als „ihr“ Pudel starb, suchte und fand auch sie den Tod. Die Puschas sind übrigens oftmals scheuer als Schakale, wahrscheinlich weil sich ihre Sozialorientierung verwischt hat: Sie wissen nicht, ob sie wie Hunde Rudel bilden oder sich wie Schakale einen festen Partner suchen sollen. Vor einem ganz ähnlichen Dilemma stehen jetzt auch die mit lauter „Dachgeschosslumpen“ aufgemischten Kreuzberger Postautonomen. Was einmal mehr zeigt, wie widernatürlich all diese künstlichen Hauptstadtexperimente sind. Bei den Kreuzungen zwischen Pudelweibchen und Wolfsrüden gibt es weniger Probleme, wobei jedoch zu beachten ist, dass Wölfe sich nur einmal im Jahr paaren und auch die Rüden außerhalb dieser Zeit keinen Geschlechtstrieb haben, das heißt, sie kommen nur dann zusammen, wenn ihre Paarungsbereitschaft zufällig zur selben Zeit eintritt (die – seltenen – Nachkommen nennt man „Wopus“).

Man kennt so etwas sonst nur bei den Urberlinern, die deswegen auch am Aussterben sind. Auf einer Betriebsrätekonferenz in der Kongresshalle am Alex seufzte einmal ein Treuhand-Privatisierungsmanager treuherzig: „Ich muss unbedingt mal wieder Ostweiber beschlafen ...“ Aber so geht es ja nun nicht!

Die Zucht von „Puwos“ ist unkomplizierter, allerdings stellt sich in der zweiten Generation das merkwürdige Phänomen ein, dass die wie Hunde aussehenden Welpen sich wie Wölfe benehmen und die wie Wölfe aussehenden in ihrem Verhalten Haushunden ähneln ... Was für ein schreckliches Durcheinander, wird mancher sagen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen