Eine Odyssee im Sozialstaat

Seit Monaten bekommen 85 angebliche Wirtschaftsflüchtlinge keine Unterstützung vom Staat. DRK hatte sie verpflegt. Doch dessen Heime schließen zum Jahresende. Die Sozialverwaltung schafft Ersatzobdach. Aber das Grundproblem bleibt ungelöst

von PETRA MAYER

85 Flüchtlinge sind nur knapp der zum Jahreswechsel drohenden Obdachlosigkeit entkommen. Erst seit gestern ist klar, dass sie ab Januar in einem Wohnheim der Arbeiterwohlfahrt (AWO) unterkommen können.

Die Roma aus Serbien und Albaner aus dem Kosovo erhalten schon seit mehreren Monaten von den zuständigen Sozialämtern keinerlei Unterstützung mehr. Hätte ihnen das Deutsche Rote Kreuz nicht aus humanitäten Gründen Unterkunft und Verpflegung in zwei seiner Wohnheim in Pankow gewährt, stünden die Flüchtlinge schon längst mittellos auf der Straße. Doch die Schließung der DRK-Heime zum Jahresende ist seit längerem beschlossen.

Seit der zweiten Verschärfung des Asylbewerberleistungsgesetzes 1998, können Flüchtlingen, die sich in der Grauzone der Duldung befinden, die sozialen Leistungen vollständig entzogen werden. Die Flüchtlinge werden anhand ihres Geburtsdatums, den verschiedenen Bezirksämtern zugeordnet.

Die 85 Bewohner der Rotkreuz-Heime, darunter 13 Familien und mehrere Alleinstehende, bekommen keinerlei staatliche Unterstützung mehr, weil sie von den für sie zuständigen Ämtern als Wirtschaftsflüchlinge eingestuft wurden, die angeblich ausschließlich wegen der Sozialhilfe eingereist seien. Somit ist nicht einmal mehr die medizinische Grundversorgung gewährleistet.

„Es gibt das Recht auf eine Grundversorgung, das heißt ein Dach über dem Kopf und etwas zu essen“, erklärte gestern Ingeborg Junge-Reyer, Staatssekretärin der Sozialverwaltung. Ab Januar soll daher der Bezirk Pankow die Kosten für die Unterbringung und Verpflegung in dem AWO-Heim übernehmen.

„Der Status als Mensch ohne Leistung bleibt aber aufrechterhalten“, kritisiert Eva Weber von der Forschungsgesellschaft Flucht und Migration (FFM). Die Flüchtlinge befinden sich weiterhin in einer rechtlichen Grauzone, ihre Zukunft bleibt ungewiss. Ihre medizinische und soziale Grundversorgung ist nicht gewährleistet. Weber fordert daher die sofortige Aufhebung des Leistungsentzugs: „Diese Praxis bedeutet ein Leben unterhalb der Menschenwürde.“

Der migrationspolitische Sprecher der Grünen, Hartwig Berger, bezeichnet diese „Vertreibung durch Aushungern“ als „unsägliche Regelung“. Bereits im Juli habe das Abgeordnetenhaus den vollständig Entzug von Sozialleistungen für unzulässig erklärt. Doch die Umsetzung dieses Beschlusses sei vom Senat bis zum März 2001 aufgeschoben, kritisiert Berger. „Solange Innensenator Eckart Werthebach die Mitzeichnung verweigert, wird der vollständige Leistungsentzug weiter praktiziert.“