zoologie der sportlerarten
: PROF. HIRSCH-WURZ über den Eiskunstläufer

Kamtschatkabär mit Hornhaut

Der Homo rittbergerensis ist derjenige Sportler, der dem Beamtentum am nächsten steht, denn er verbringt den Großteil seiner Karriere im Sitzen. Im Gegensatz zum Beamten bekommt er jedoch dafür Punktabzug, und auf eine Pension kann er auch nicht zählen. Um international konkurrenzfähig zu sein, muss der Eiskunstläufer ungefähr 26 Stunden pro Tag trainieren, was bedeutet, dass er sich im Durchschnitt 752-mal auf den Hosenboden setzt. Aus diesem Grund hat er am Allerwertesten eine Hornhaut, die selbst einen Pavian hinten erblassen ließe, wenn er sie denn erblicken könnte. Da Paviane selten den Playboy kaufen, ist dies aber eher unwahrscheinlich. Ganz abgesehen davon, dass bei den regelmäßigen Fotostrecken mit Exemplaren des Homo rittbergerensis femininus in besagtem Magazin die verräterische Hornhaut geschickt wegretuschiert wird.

Man unterscheidet beim Homo rittbergerensis grob vier Unterarten: den bereits erwähnten Homo rittbergerensis femininus, den Homo rittbergerensis masculinus, den Homo rittbergerensis paaricus und den Homo rittbergerensis capriciosus. Letzterer hat als Einziger keine Hornhaut, weil es ihm streng verboten ist, zu hüpfen und also auch zu fallen.

Der Capriciosus kam früher ausschließlich aus Russland, und die einzige Musik, die er kannte, war Rachmaninow. Dazu reckte er, besonders seine weibliche Ausprägung, grazil das Gebein, setzte den Blick eines waidwunden Bolschoi-Hirsches mit Dutt auf und glitt leicht wie ein flatterndes Wodkafähnchen über das Eis. Dann kam Gorbatschow, und alles wurde anders. Plötzlich tummelten sich Briten, Franzosen, Kanadier und sogar einige Yankees in der Domäne des Capriciosus, taten lauter verrückte Dinge, die zwar verboten waren, aber den Leuten gefielen, und schickten gar veritable Flintenweiber, die ihre Partner unter den Arm klemmten und sie übers Eis hievten wie ein Kamtschatkabär seine Beute. Da kapitulierten die russischen Capriciosi, so wie das Sowjetsystem, und heute muss man sich nicht wundern, wenn die Zuckerfee aus Tschaikowskis Nussknacker zu Rock Around The Clock übers Eis walzt.

Das Dasein des Homo rittbergerensis paaricus wiederum ähnelt einem Tandem, respektive dem Fahren eines solchen. Schuld hat, wenn die Sache nicht funktioniert, immer der andere. Der Paaricus lebt quasi in einer von vornherein gescheiterten Ehe, weshalb er seinen Partner auch nie heiratet, obwohl doch das Publikum nichts sehnlicher wünscht. Für den Fall, dass er doch einmal schwach wird, wurde die Todesspirale erfunden.

Der natürliche Feind des Eiskunstläufers ist der Preisrichter. Dieser hasst den Homo rittbergerensis wie die Pest, weil er selber gern einer wäre, aber entweder zu wenig Stehvermögen oder zu wenig Hornhaut hat. Am liebsten würde der Preisrichter jeden Auftritt mit einer 4,5 bewerten, aber er musste einsehen, dass dies im Sinne eines spannenden Wettkampfes nicht gut möglich ist. Also gibt er denen, die er kennt, bessere Noten, auch wenn sie in vier Minuten 25-mal aufs Eis purzeln. Denen, die er nicht kennt, gibt er eine 4,5. Wer am Ende gewinnt, wird nach einem komplizierten System von Länderpunkten entschieden, das nur Preisrichter und Hugo-Egon Balder verstehen. Wichtig ist bloß, dass keinesfalls die Personen gewinnen dürfen, die den meisten Applaus erhalten haben oder schon mal im Playboy waren.

Weil sich außer dem Playboy und dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen in Deutschland sowie ein paar durchgeknallten Pavianen kein Schwein für den Homo rittbergerensis interessiert, muss er sich schon was einfallen lassen. Als beste Methode hat sich bislang ein gezielter Schlag mit der Eisenstange auf das Knie einer Konkurrentin erwiesen. Das bringt zwar keine Preisrichterpunkte, aber Verträge für Wrestlingauftritte und Filmrollen. Das ist mehr, als der gewöhnliche Homo rittbergerensis vom Leben erhoffen kann, sofern er nicht zufällig das schönste Gesicht des Sozialismus trägt.

Wissenschaftliche Mitarbeit: MATTI LIESKE

Autorenhinweis:Holger Hirsch-Wurz, 53, ist ordentlicher Professor für Human-Zoologie am Institut für Bewegungs-Exzentrik in Göttingen