Die Spinnen in den Netzen

Das Ruhrgebiet bekommt die Triennale und Gérard Mortier, Berlin F. X. Ohnesorg als Intendanten der Philharmonie

Die Primadonna genoss den Auftritt sichtlich. Gérard Mortier holte aus und erläuterte, was er gerne, häufig und ausführlich tut, einige seiner Leitlinien für europäischen Kultur. Flankiert zur Rechten von Ministerpräsident Wolfgang Clement, zur Linken vom grünen Vielzweck-Minister Michael Vesper, sprach er am Wochenanfang in Düsseldorf rhapsodisch und mit seinem kess kultivierten frankoflämischen Dialekt über den fälligen Strukturwandel auf dem Gebiet der Opern- und Konzertpräsentation.

Er zeigte sich hoch beglückt, von IBA-Chef Norbert Ganser zu den Baudenkmälern des Industriezeitalters im Revier geführt worden zu sein, und versprach, diese „auratischen Räume“ schwerpunktmäßig für die Triennale zu nutzen, die mit ihm – in konzentrischen Kreisen angeordnet um Clements Wahlkreis – aus dem Ruhr-Boden gestampft werden soll: ein Mammut-Festival im Dreijahresrhythmus. Verbunden mit einem rund ums Kalenderjahr tätigen Kulturnetzwerk, in das die traditionsreichen Ruhrfestspiele ebenso integriert werden sollen wie das von Frieder Bernius geleitete „ChorRuhrWerk“ und die Hilterhaussche „Tanzlandschaft Ruhr“ sowie eine Ruhr-Philharmonie und weitere „Projekte“.

Pro anno werden vom Land vierzig neue Millionen für diese Strukturfördermaßnahme bereitgestellt – und mehrere Fliegen sind mit einer Klappe geschlagen. Vornan eine respektable Nutzung der brachliegenden Jahrhunderthalle Bochum, der Kraftzentrale Meiderich in Duisburg, des Gasometers in Oberhausen, der Kokerei Hansa in Dortmund und der Zeche Zollverein in Essen.

Mortiers Verpflichtung ins Revier signalisiert die Verschiebung der Paradigmen in der Kulturpolitik, die mit dem Wechsel von Ministerpräsident Johannes Rau und dessen letzter Kulturministerin Ilse Brusis zu Clement und Vesper vollzogen wurde. Vesper hatte im Sommer, unmittelbar nach seinem Amtsantritt, noch in Aussicht gestellt, „Künstler von Weltgeltung an Nordrhein-Westfalen zu binden“. Nun scheint der Paradigmenwechsel in der NRW-Kulturpolitik vollzogen. Statt etlicher Künstler von Weltgeltung soll ein versierter Manager kommen – und auch der nicht sesshaft werden, sondern ein temporäres Millionen-Gastspiel geben.

Auch wird mit feixender Genugtuung vermerkt, dass „Berlin“ ein Schnippchen geschlagen wurde. Die Berliner Kulturpolitik landete denn auch prompt den Gegenschlag und verpflichtete den mit der Kölner Philharmonie als Topverkäufer von klassischer und moderner Musik groß gewordenen und derzeit in New York verpflichteten Franz Xaver Ohnesorg als Verwaltungschef der Berliner Philharmoniker. Ein Posten, um den Ohnesorg bereits vor Jahren gescharrt hatte und zu dem sich jetzt die Türen öffneten, da ein guter alter Bekannter aus den CSU-nahen Münchener Jugendtagen als Kultursenator in der Hauptstadt wirkt.

An Rhein und Ruhr hatte die aus der Gewerkschaftsarbeit kommende Ministerin Brusis noch einen Ausgleich der Interessen angestrebt: Sie wollte eine neue Philharmonie im Herzen des Landes bauen lassen und ein Orchester des Landes finanziell so ausrüsten, dass es auf internationalem Parkett mitspielen kann. Zugleich sollte aber auch die „Breitenarbeit“ bis hin nach Hagen und Hilchenbach gestärkt werden. (Immerhin fehlt es den notleidenden Theatern, den achtzehn Orchestern im Lande und der freien Szene vorn und hinten an Finanzmitteln.) Von einem solchen Balanceakt der Kulturpolitik hält Mortier nichts. Wenn Geld nach dem Gießkannenprinzip über die Kulturlandschaft ausgegossen werde, „lässt sich nichts Besonderes kreieren“. Er setzt auf Konzentration der Geldmittel für Projekte, die punktuell eingesetzt werden und „illuminieren“.

Mortier, der Eklektiker, hat den historischen Ehrgeiz, in Räumen des 20. Jahrhunderts die Musik (und auch Theater und Tanz) aus allen möglichen historischen und geografischen Zonen unter seinem Blickwinkel der Modernisierung zu inszenieren. Eine solche Chance hätte er als Chef der Berliner Festwochen nicht erhalten (dazu sind die Geleise in Berlin schon zu fest verlegt). Im mittleren Westen der Republik aber mag die Berufung Mortiers wirken wie die Bahnreform: wie die Anschaffung eines modernen Hochleistungszugs, der Interurbanität und Internationalität herstellt, während zugleich das Schienennetz verrottet. FRIEDER REININGHAUS