KNASTREVOLTE IN DER TÜRKEI: DIE HARDLINER HABEN SICH DURCHGESETZT
: Ein Sieg der Unmenschlichkeit

Mindestens zwanzig Tote, etliche Verletzte und rauchende Trümmer sind das Ergebnis. Tausende von Gefangenen hatten sich verschanzt und auf eine menschenwürdige Existenz auch hinter Gittern gepocht. Hat der türkische Staat nun wieder einmal sein wahres, sein faschistisches Gesicht gezeigt? Dies behaupten jedenfalls etliche Unterstützer der Gefangenen – vor allem im Umkreis der Organisationen, die den Hungerstreik getragen haben.

Man muss sich nicht über den Begriff Faschismus streiten, um festzustellen, dass es innerhalb des türkischen Staatsapparates zweifellos Gruppen gibt, die ein gewaltsames, autoritäres Vorgehen einem demokratischen Dialog vorziehen. Dazu gehören nicht nur die rechtsradikalen Polizisten, die letzte Woche auch aus Protest gegen die vermeintlich zu lasche Haltung der Regierung gegenüber den hungerstreikenden Gefangenen durch Istanbul und andere Städte zogen.

Dazu gehört auch ein ganzer Teil der Gesellschaft, der immer, wenn es Probleme gibt, letztlich nach dem Militär statt nach zivilen politischen Lösungen ruft. Nicht ohne Grund hat die ultranationalistische bis rechtsradikale MHP bei den letzten Wahlen rund 20 Prozent bekommen und stellt nun die zweitgrößte Partei innerhalb der Regierungskoalition. Zweifellos haben diese Leute lange darauf gewartet, dass gegenüber den aufsässigen Linken im Knast endlich Tabula rasa gemacht wird, ohne Rücksicht auf Verluste.

Dieser rechte Mob trifft in der Türkei auf eine Linke, die in Teilen einer verschrobenen 70er-Jahre-Revolutionsromantik huldigt, die mit geradezu religiöser Inbrunst und blindem Glauben in die eigene Führung gepaart ist. Das ist die bewusstseinsmäßige Mischung, aus der Märtyrer gemacht sind – und Märtyrer hat es nun gegeben. Und viele Leute glauben, Märtyrer würden das Geschäft dieser Organisationen befördern.

Zwischen diesen beiden Gruppen stehen die aufrechten Demokraten, den Menschrechten verpflichteten, auf rationales Handeln setzenden Schriftsteller, Künstler und Politiker, die in den vergangenen Wochen verzweifelt versucht haben, die absehbare Katastrophe zu verhindern. Einige der Vermittler glaubten, zumindest den Justizminister, vielleicht aber auch einen größeren Teil der Regierung für einen Kompromiss gewonnen zu haben. Es kann sein, dass man sie brutal getäuscht und benutzt hat. Für viele einzelne Gefangene wäre es aber sicher besser gewesen, die Regierung beim Wort zu nehmen, statt es auf die militärische Lösung ankommen zu lassen. Jetzt haben die Hardliner aller Seiten gesiegt.

JÜRGEN GOTTSCHLICH