Monti ist unzufrieden

In dieser Woche war EU-Kommissar Monti beim deutschen Kartellamt zu Besuch. Thema: die europäische Fusionskontrolle. Kritiker klagen über deren Wirkungslosigkeit

Experten beklagen, dass Dumpingpreise kaum kontrolliert werden. Kartelle bleiben oft ungesühnt

Linke Experten und rechte Wirtschaftsliberale klagen gemeinsam über die Wirkungslosigkeit der europäischen Wettbewerbshüter: Sie konnten die Fusionsflut der neunziger Jahre nicht eindämmen.

Blicken wir zurück. Im Jahr 1967 hatte der damalige Wirtschaftsminister Karl Schiller ein neues Leitbild für die westdeutsche Wettbewerbspolitik geschaffen. Er verabschiedete sich vom alten Ideal Ludwig Erhards, einem Kleinkapitalismus mit menschlichem Antlitz. Bis dahin hatte man die vollkommene Konkurrenz gepriesen, in der eine Vielzahl von Firmen gegeneinander um neue Produkte, Preise und Marktanteile streiten. Ein „unrealistisches Modell“, befand Minister Schiller nun. An seine Stelle trat ein modernes novelliertes Wettbewerbs- und Kartellrecht, das sich letztlich mit zwei Konkurrenten in einer Branche begnügt. Dem Gigantismus von heute hatte Schiller damit Tür und Tor geöffnet.

Den Euro-Vätern kam das Wettbewerbsrecht erst spät in den Sinn. Im September 1990 war es endlich so weit, die EU-Fusionskontrollverordnung trat in Kraft (Nr. 4064/89). Bis dahin hatten, soweit vorhanden, ausschließlich nationale Gesetze gegolten. Zuständig für Fusionen ist seitdem die Generaldirektion IV in Brüssel, wenn die Firmen wenigstens 250 Millionen Euro innerhalb der Union umsetzen.

Dabei läuft das Brüsseler Verfahren ähnlich ab wie im Bonner Kartellamt, das für hiesige Zusammenschlüsse zuständig blieb. Einer Anmeldung durch die beteiligten Konzerne folgt eine erste grobe Untersuchung, die nach Wochen oder Monaten in einer Entscheidung gipfelt. Erhebt Wettbewerbskommissar Monti letztlich keine Bedenken, erfolgt eine Genehmigung, möglicherweise mit Auflagen. Diese werden mit den Kandidaten in einer Art von Kuhhandel vereinbart. So mussten sich Veba und Viag oder Exxon und Mobil Oil für ihre Fusions-Ehen von einigen kleineren Töchterunternehmen trennen. Verweigert Montis Behörde den Segen, geht das Ermittlungsverfahren in eine zweite Runde, und am Ende kann eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof stehen.

So dramatisch wird es in der Praxis jedoch kaum, denn das maßgebliche Kriterium ist „der Wettbewerb“ – wie Brüssel ihn versteht. Diesen sehen die EU-Wächter nur gefährdet, wenn „eine marktbeherrschende Stellung“ in einzelnen Teilmärkten oder Ländern erreicht wird. Dies droht vor allem, wenn ein Unternehmen einen Marktanteil erringt, der größer als ein Viertel ist. Erst dann regt sich in Brüssel ein Anfangsverdacht. Schließen sich dagegen zwei Unternehmen zusammen und verfügen über einen Marktanteil von maximal 25 Prozent, ist dies „nicht geeignet, wirksamen Wettbewerb zu behindern“, heißt es in der EU-Verordnung. Dies bedeutet keineswegs, dass nicht auch Marktanteile von 50 oder mehr Prozent erlaubt sind, wenn trotzdem der Wettbewerb nach Meinung Brüssels funktioniert. Brüssel folgt hier der Logik Schillers, zwei Oligopole seien genug für guten Wettbewerb. Unterstützung erhalten die EU-Wächter von den meisten Regierungen, die auf starke „nationale“ Konzerne setzen.

Daher überrascht es nicht, dass in zehn Jahren lediglich 13 Fusionen verboten worden sind. Zu Auflagen kam es in 116 Fällen. Angesichts von 1.469 Anmeldungen bei der Wettbewerbskommission nur ein kleiner Bruchteil. Ähnlich schwach zeigen sich die EU-Wettbewerbshüter übrigens gegenüber Kartellen. Längst nicht jede Absprache über Preise und Produkte gilt gleich als Kartell. Eine Forschungskooperation oder eine Einkaufsallianz können durchaus erlaubt sein. Das Euroschecksystem ist ein Paradekartell der Kreditwirtschaft und zukünftig dürfen Daimler-Chrysler, Ford, General Motors und Renault/Nissan über eine gemeinsame Internetplattform einkaufen gehen. Inzwischen toleriert die Kommission solche Vereinbarungen zwischen Wettbewerbern nicht mehr nur notgedrungen, sondern sie erhofft sich sogar eine positive Wirkung von ihnen.

Unzufrieden damit ist neben dem Bundeskartellamt auch die Monopolkommission, die im öffentlich-rechtlichen Auftrag die Entwicklung des Wettbewerbs erforschen soll. Das Expertengremium beklagt beispielsweise den „geringen Stellenwert“, den die Kontrolle von Dumpingpreisen genießt; der Missbrauch durch Kartelle oder marktbeherrschende Unternehmen bleibe oft ungesühnt. Im jüngsten Hauptgutachten kritisieren sie obendrein die tönerne Datenbasis aller EU-Entscheidungen: Die Konzentrationsstatistik erfasst immer nur einen Teil der tatsächlichen Konzernstrukturen! Denn unter anderm bleiben die Verflechtungen mit den Tochterunternehmen ausgespart. So verfügen die zehn größten Lebensmittelunternehmen in Deutschland über einen Marktanteil von 25 Prozent – geht man nach den offiziellen Daten. Auf dieser Basis entscheidet die EU-Kommission über Fusionen und Kartelle. Werden jedoch unter anderem die realen Verflechtungen betrachtet, erhöht sich der Marktanteil der großen Zehn auf fast 85 Prozent, ermittelte die Monopolkommission.

Auch EU-Kommissar Marion Monti ist unzufrieden mit „seinem“ Fusionsrecht. Allerdings nicht etwa, weil es bislang wenig Wirkung zeigt, sondern weil es zu bürokratisch sei. Monti formulierte seine fusionsfreundlichen Vorstellungen von einem vereinfachten Verfahren im Juni in einem sogenannten Erfahrungsbericht. Ein erster Schritt wurde bereits gemacht, indem hausintern ein flotteres Vorgehen beschlossen worden ist. Zudem preschte Monti Ende September mit seinem Plan vor, die Kartellkontrollen zukünftig den Unternehmen weitgehend selbst zu überlassen. Kartellbehörden sollen zukünftig erst in Zweifelsfällen eingreifen.

Ähnliche Lockerungen schweben Monti für die zukünftige Fusionskontrolle vor. Dann soll fast jeder Zusammenschluss im unbürokratischen Schnellverfahren besiegelt werden. Bislang ist jede große Fusion wenigstens noch verdächtig und bedarf formal der Erlaubnis, zukünftig wäre dann (fast) jeder Zusammenschluss prinzipiell erlaubt. In den kommenden Monaten wird der oberste europäische Wettbewerbswächter mit den Mitgliedsstaaten über seine Pläne beraten.

Innerhalb von zehn Jahren wurden nur 13 Fusionen verboten; Auflagen gab es in ganzen 116 Fällen

Alle Reformversuche Montis weisen in eine, nämlich in die falsche Richtung. Statt Laisser-faire oder sogar klammheimlicher Unterstützung für Großfusionen braucht Europa ein Fusionsverhinderungsgesetz, das endlich die Vermachtung der Märkte stoppt. Dieses Gesetz muss die Konzerne verpflichten, den Nutzen einer Fusion nachzuweisen. Nur Zusammenschlüsse, die volkswirtschaftlich nützlich sind, werden erlaubt. Damit wäre die Fusionsflut schnell zu stoppen.

Der beliebte Einwand der „Globalisierung“ und des angeblich weltweiten Wettbewerbs zieht hier nicht. 80 Prozent der europäischen Produktion verbleiben in Europa. Die Politiker wollten einen europäischen Binnenmarkt schaffen. Das ist gelungen. Jetzt gilt es, diesen Markt zu gestalten.

HERMANNUS PFEIFFER