Fragen an Algeriens Machthaber

Seit gestern läuft der Prozess gegen zehn mutmaßliche islamistische Terroristen, die 1998 den Berbersänger Lounes Matoub ermordet haben sollen. Die Familie des Opfers zweifelt daran und beschuldigt den Staat die Hintergründe zu vertuschen

aus Tizi Ouzou REINER WANDLER

„Das ist alles nur Show!“, schimpft Malika Matoub. Die Schwester des am 25. Juni 1998 ermordeten algerischen Sängers Lounes Matoub ist aus Paris angereist. Seit gestern wohnt sie in Tizi Ouzou, der Hauptstadt der algerischen Berberregion Kabylei, als Nebenklägerin dem Prozess gegen zehn mutmaßliche Mitglieder der Bewaffneten Islamistischen Gruppen (GIA) bei. Diese sollen ohne weitere Zeugenvernehmungen als Mörder ihres Bruders abgeurteilt werden. Zwei der angeblichen Täter, Malek Medjnoun und Abdelhakim Chenoui, sind beim Prozess anwesend, die anderen flüchtig.

„Die Anklageakte ist leer“, beschwert sich Malika Matoub, die mit der von ihr gegründeten Lounes-Matoub-Stiftung in den vergangenen zweieinhalb Jahren selber Nachforschungen angestellt hat. „Unzählige Fakten hat die Justiz nicht untersucht.“ Die offizielle Version, nach der die GIA Lounes Matoub auf dem Nachhauseweg in sein Dorf Taourirt Moussa in einen Hinterhalt lockten, sei nicht haltbar.

Der Mercedes war, als er getroffen wurde, am linken Straßenrand abgestellt. Obwohl das Fahrzeug mit MP-Einschüssen übersät ist, wies die Leiche von Matoub nur Verletzungen durch Schüsse auf, die aus nächster Nähe abgegeben wurden. Die Aussagen von Ehefrau Nadia sowie deren beiden Schwestern, die im Wagen waren, widerspechen sich. Aus den Häusern in Nachbarschaft zum Tatort wurden nur die Familienväter vorgeladen. „Die waren bei der Arbeit. Die Frauen wurden nicht vernommen“, sagt Malika.

Eine Rekonstruierung des Tathergangs wurde erst letzten Juni vorgenommen. „Das war eine Parodie“, erinnert sich Malika, „das Auto stand nicht am rechten Fleck, die Frau und die Schwägerinnen von Lounes waren nicht anwesend.“ Ein ballistisches Gutachten steht bis heute aus.

Die beiden anwesenden Angeklagten hatten sich im Rahmen des im Januar ausgelaufenen Amnestiegesetzes gestellt. Wenige Tage später wurden sie als mutmaßliche Mörder von Matoub verhaftet. „Er wird isoliert und gefoltert, um das zu sagen, was sie hören wollen“, beklagten sich die Eltern von Chenoui in einem in einem Offenen Brief an Präsident Bouteflika. Die restlichen acht Angeklagte sind für Malika Matoub „völlig Unbekannte“. Keiner der seit dem Anschlag in der Presse unter Berufung auf juristische Quellen veröffentlichten zwei Dutzend Tatverdächtigen ist darunter. Selbst die drei „Reuigen“, die am Vorabend des ersten Jahrestages des Attentats 50 Minuten im Staatsfernsehen erklärten, wie und warum Matoub ermordet wurde, sind nicht mehr ausfindig zu machen.

Nicht nur die Familie des Sängers hatte von Anfang an Zweifel an der offiziellen Version. Überall in der Kabylei gingen die Menschen auf die Straße und schrien: „Mördersystem!“ Lounes Matoub galt nicht nur bei den Berbern als Volksheld. Er sang „an zwei Fronten, gegen die religiösen Fanatiker und gegen die korrupte Macht“. 1988 wurde er von der Gendarmerie beschossen und schwer verletzt. 1994 entführten ihn die Islamisten.

„Von offizieller Seite soll hier etwas vertuscht werden. Wir wollen die Wahrheit wissen“, sagt Malika. Die Gendarmen, die die ersten Untersuchungen führten, wurden kurz darauf alle versetzt. Ein Mitglied der Patrioten, vom Staat bewaffneten Bürgerwehren, der auf eigene Faust Nachforschungen anstellte, stürzte aus einem Fenster seines Hauses.

Eine Gruppe von hochrangigen Deserteuren, die von Madrid unter dem Namen Algerische Bewegung Freier Offiziere (MAOL) agieren, beschuldigen die Armeeführung den Mord an dem Protestbarden geplant zu haben. „Das Ziel war, Präsident Zeroual zu stürzen und dem Islamismus den Gnadenstoß verpassen“, heißt es im Internet (www.anp.org). In das Komplott soll auch der Abgeordnete der Berberpartei, Versammlung für Kultur und Demokratie (RCD) und Chef der Patrioten in der Kabylei, Ait Hammouda, verstrickt sein. Zeroual trat wenige Monate nach den Unruhen in Folge des Todes von Matoub zurück. Und die RCD wurde unter dem neuen Präsidenten Bouteflika in die Regierung aufgenommen.

„Ich mache keine politischen Analysen. Ich untersuche nur die Fakten“, sagt dazu Malika Matoub. Dennoch möchte sie wissen, warum die RCD die Witwe ihres Bruders zur Falschaussage zwang. Nadia Matoub, die die Islamisten für den Anschlag verantwortlich machte, widerrief diese Aussage vergangenen Juni. In Wirklichkeit habe sie die Täter nicht identifizieren können. „Sie haben mich unter Druck gesetzt: ‚Sei vernünftig, sag, dass es die GIA waren!‘ “ Da Hammouda den Pass von Nadia Matoub hatte, um für sie ein Visum nach Frankreich zu besorgen, „konnte ich ihnen nicht die Stirn bieten“.

Schlussfolgerungen zieht Malika nicht, denn „ich bin ein Opfer, das fragt, und kein Richter.“ Vor wenigen Monaten wurde ein Mitarbeiter der Stiftung entführt. „Sag Malika, wenn sie weitermacht, wird sie enden wie ihr Bruder“, gaben die Vermummten dem Entführten bei seiner Freilassung mit auf den Weg.