Kompetenzfanatiker mit Auftrag

Franz Xaver Ohnesorg, dem designierten Intendanten der Philharmonie, eilt ein zwiespältiger Ruf voraus

Anfreunden mag man sich mit dieser Situation nicht: Das Feuilleton schreibt sich die Finger wund am Berliner Musikleben, aber über Musik wird eigentlich nicht geredet. Als Musikjournalist hängt man derzeit besser über Texten zum Stiftungsrecht, anstatt ins Konzert zu gehen.

Und, ja, natürlich ist das Kulturleben der jungen Metropole labil, werden jetzt die Weichen gestellt für ein Institutionengefüge, das Berlins Ruf als Musikstadt von internationalem Rang in den kommenden Jahren sichern soll. Am Mittwoch nun gab das kulturpolitische Stellwerk, Kultursenator Christoph Stölzl, eine weitere folgenschwere Entscheidung bekannt: Franz Xaver Ohnesorg, 52, wird mit dem 1. September 2001 Intendant des Berliner Philharmonischen Orchesters und der Berliner Philharmonie.

Dass der Posten überhaupt neu besetzt wird, ist keine Überraschung. Denn nach einem undurchsichtigen Streit zwischen dem Dirigenten des Orchesters, Claudio Abbado, und dem Noch-intendanten, Elmar Weingarten, lässt Letzterer die Geschäfte seit diesem Sommer ruhen. Weingartens Vertrag versandet im August 2001 mehr, als dass er ausläuft. Dass die Entscheidung auf Ohnesorg fiel, ist allerdings eine kleine Sensation. Der studierte Betriebswirt und Musiker (Querflöte) schien sein Karriereziel vor eineinhalb Jahren vorzeitig erreicht zu haben, als er die Kölner Philharmonie verließ und zum allmächtigen „Executive und Artistic Director“ der renommierten Carnegie Hall in New York avancierte.

Aber eben diese Allmacht scheint Ohnesorg zu Kopf gestiegen zu sein, denn sein autokratischer und autoritärer Führungsstil stieß in New York nicht auf Gegenliebe. Im Gegenteil wurde er regelrecht angefeindet. Zuletzt wurden Hakenkreuze in die Bürotüren des Konzertsaales geritzt, die ohne Frage dem „ugly german“ galten.

Dass Ohnesorg ein Führungsmonster ist, hätte man in New York vorher wissen können. Schon in Köln eilte dem Intendanten der Ruf eines Angestelltenfressers voraus. Zwischen 1983 und 1999 leitete er die Kölner Philharmonie. Auch hier gab es ungezählte Affronts, die aus moralischer Sicht selten für Ohnesorg entschieden wurden. Aber da das Kölner Haus unter seiner Leitung zu einem der führenden Säle Europas avancierte, nahm man die Ausfälle eben gern in Kauf.

Ohnesorg gilt als glänzender Stratege, der seine Vision vom modernen, demokratischen Konzertsaal unnachgiebig verfolgt. Wie kein Zweiter versteht er es, Sponsorenkassen zu knacken und Freundschaften mit Künstlern in engagierte Konzerte zu verwandeln. Dem Vorwurf mangelnder Skrupel begegnet Ohnesorg regelmäßig mit dem Verweis auf einen Auftrag höherer Ordnung, und der kann wahlweise heißen: Musik, Publikum oder das Haus.

Es klingt dann auch durchaus glaubwürdig, wenn der Kulturmanager versichert, dass er New York nicht in Flucht vor den unbehaglichen Arbeitsumständen verlässt. Dass Ohnesorg dann noch hinzufügt, Berlin brauche ihn jetzt und dass er sich sehne nach den europäischen Werten, verleiht der Sache allerdings eine unangemessene Rührseligkeit. Das Personal der Berliner Philharmonie kann sich indessen warm anziehen: Ohnesorgs Verschleiß an Angestellten ist Legion. Das Publikum mag sich hingegen freuen auf die resolute Innovation eines Dienstleistungsfanatikers.

Der Hauptschauplatz ist allerdings die Programmgestaltung, auf die der Intendant entscheidenden Einfluss nimmt. Kompetenz will ihm niemand streitig machen. Aber die Kölner Ära hat gezeigt, dass Ohnesorg zum einen unter einem gewissen Hang zum Bombast leidet. Zum anderen läuft Ohnesorg häufig Gefahr, seine persönlichen Vorlieben über Gebühr zu begünstigen. In Köln konnte man zuletzt den Eindruck gewinnen, Busenfreund Daniel Barenboim gehöre zum Hauspersonal. Und als Ohnesorg das Tangofieber ereilte, klemmte sich die gesamte Stadt notgedrungen eine Rose zwischen die Zähne.

Aber Berlin ist nun auch nicht Köln, die Philharmoniker sind nicht das einzige Orchester, die Philharmonie ist nicht der einzige Saal. Das Musikangebot der Stadt ist groß genug, um auch Franz Xaver Ohnesorg zu verkraften. BJÖRN GOTTSTEIN