Lehrter Sackbahnhof

Das Renommierprojekt wächst 2001 aus dem Keller, aber mehr als einen einsamen Bahnhof wird es nicht geben

Wer mit der S-Bahn vom Zoologischen Garten bis zur Friedrichstraße fährt, blickt in ein Milliardengrab. Am Bahnhof Lehrter Stadtbahnhof sich zwar die größte Baugrube in der Stadt auf. Die Trassen der unterirdischen Nord-Süd-Verbindung sind in Beton gegossen. Der Sockel für den neuen ICE-Bahnhof steht. Und selbst die breiten Brücken für den Ost-West-Verkehr sind im Bau. Das Prestigeprojekt der Deutschen Bahn AG nach den Plänen des Hamburger Architekten Meinhard von Gerkan macht Fortschritte. Und 2001 wird der Koloss aus der Erde wachsen.

Als vorerst gescheitert ist die Investition von rund einer Milliarde Mark dennoch anzusehen. Die Ankündigungen von Bahnchef Hartmut Mehdorn, wegen des Schuldenbergs seines Konzerns die Baumaßnahme abzuspecken, bringt das Konzept eines gesamten Quartiers aus dem Gleichgewicht. So sollen die beiden 42 Meter hohen Bürohausriegel über dem Bahnknoten nicht mehr von den Eisenbahnern selbst, sondern von privaten Investoren finanziert werden. Gestrichen ist auch das Hochhaus vor dem Bahnhof.

Ebenfalls aufs Abstellgleis gefahren hat die Bahn ihre Beteiligung an der städtebaulichen Entwicklung des 20 Hektar großen Bahnhofquartiers: Statt Geschäften, Büros, Gastronomien und Wohnungen droht der Stadtraum nördlich des Spreebogens zu verwüsten – zurück bleibt ein Raumschiff aus Stahl, Glas und Beton. Findet sich in den nächsten Monaten kein Investor für den Komplex mit 43.000 Quadratmeter Bürofläche, dann wird nach 2001 einzig ein 60 Meter hoher, einsamer Abluftkamin zum Wahrzeichen von Europas größtem Kreuzungsbahnhof.

Und auch weitere Auswirkungen hat das Bahndefizit für die Stadt: Anstelle des geplanten ICE-Südbahnhofs Papestraße wird dort nur die S-Bahn stoppen. Reisende müssen zum Raumschiff fahren. ROLA