zwischen den rillen
: Soul als Bildungsprogramm bei Shawn Lee und Omar

Verbotene Samples

Alle paar Jahre mustert Gilles Peterson als Labelchef von Talkin Loud Bands aus. Dann kommt die Style-Polizei und stellt fest, dass TripHop definitiv over ist: Pech gehabt, Shawn Lee. Gut eineinhalb Jahren hatte der aus Wichita, Kansas, stammende Singer/Songwriter bereits eine fertige Platte bei Peterson im Schrank, als er letztes Jahr aus dem Vertrag entlassen wurde. In Zeiten von TwoStep saß Lee plötzlich auf der Straße – trotz einer Stimme zwischen Al Green und Sly Stone.

Doch schon drei Monate später hing im Londoner Rough Trade Shop Lees selbst produzierte Single mit dem bitteren Titel „You Seem To Have Forgotten What Music Was . . .“ im Fenster. Irgendwann kam ein gewisser Mark Jones vorbei und fand, dass der depressive Hippie-Blues auf sein neues Label passen würde. Tatsächlich macht sich „Kill Somebody“ als erste Single bestens, wenn die Plattenfirma „We Love You“ heißt.

Den Sarkasmus hat Lee auf seiner CD „Monkey Boy“ durchgehalten. So viele Ecken und Fallstricke finden sich sonst nie im Soul: Wenn er von Mutters tödlichem Krebs singt, werden Swingbesen herausgeholt und Flöten geblasen. Für „Hangin’ by a thread“ rocken Hendrix-Gitarren, weil es im Bett furchtbar einsam ist ohne Kätzchen. Trotzdem hat man in diesem Gewühl nicht die Spur von Härte, mit der sonst Rapper aus ihrem Leben plaudern. Für einen Psycho bleibt Lee jedenfalls erstaunlich euphorisch – selbst wenn er von „8 Million Ways To Die“ singt, denkt er mehr an Gospel als an Gruft.

Dabei kommt es ihm sicher gelegen, dass „Monkey Boy“ praktisch im Alleingang aufgenommen wurde. Den Rhythmus erledigt eine klapprige Drumbox, und auch der Casio ist bei Lee wieder schwer in Mode. Überhaupt scheinen all die Low-Fi-Qualitäten, die man Beck nachgesagt hat, nicht mehr nur Musikjournalisten Spaß zu machen. Zumindest die französischen Bars haben sich diesen Winter auf Lees krumme Songbasteleien geeinigt. Dort ist „Happiness“ als Bossa Nova der Aufwärm-Hit, bevor es zu French House von Etienne De Crecy ins „Queens“ geht. Und Gilles Peterson wird sich gewaltig ärgern.

Das gleiche gilt auch im Fall von Omar. Weil seine Songs für Talkin Loud zu vertrackt waren, wurde der Musikstudent jamaikanischer Herkunft schon Mitte der Neunzigerjahre an RCA abgestoßen. Der Hipsterbonus nützte ihm beim Major wenig: Als sich „This Is Not A Love Song“ trotz Gast-Rap von Ol’ Dirty Bastard nicht verkaufen ließ, wurde Omar gekündigt. Jetzt ist seine CD „Best By Far“ auf dem Pariser Nachwuchslabel „naive“ erschienen. Den Star der Stunde hat sich Omar clevererweise gleich mitgebracht: wer außer Guru’s Jazzmatazz kann schon Erykah Badu einladen, damit sie Backings singt?

Dabei ist die gemeinsame Coverversion „Be Thankful“ – das Lied zum Striptease-Video von Massive Attack – nur eine bescheidene und spärlich arrangierte Stilübung mit Blick in Richtung Disco. Ein bisschen Gejohle, ein wenig „in the back“, dazu der aus den 80er-Jahren herüberknurrende Bass: „This is how we do it“, wie Omar zwischendrin dauernd vor sich hin schwärmt. Offenbar ist der Mann ziemlich überzeugt davon, dass echte Schönheit bloß independent zu haben ist. Warum sollte er sich sonst auf dem Cover mit einer selbst zusammengelöteten Krone abbilden?

Vielleicht stimmt aber am Ende doch wieder die Einschätzung von Peterson. Für den Markt ist Omar in seiner Melodieversessenheit eine Spur zu überdreht, in die Indie-Ecke passt sein kunstvoll ornamentierter Soul auch nicht recht. Ohnehin sind schwarze Musiker fürs Geschäft noch immer erst attraktiv, wenn sie sich wie R. Kelly als erfolgreiche Aufsteiger von der Straße vermarkten lassen. Omar merkt man dagegen stets die bürgerliche Bildung an, vom Klavierunterricht bis zur geschmackssicheren Wahl der Samples. Im HipHop wäre ein säuselnder Burt-Bacharach-Chor – zumal mit begleitender Bassklarinette! – extrem verboten. In Paris braucht ihn die fehlende Authentizität allerdings nicht weiter zu stören: Wo die Straßen alle paar Stunden gefegt werden, zählt auch Streetcredibility nur, wenn sie gepflegt auftritt.

HARALD FRICKE

Shawn Lee: „Monkey Boy“ (We Love You/Wall Of Sound)Omar: „Best By Far“ (naive)