Im Zeichen des Skorpions

Frankfurt, Goa, Ibiza – wo Sven Väth ist, ist Party, denn Sven Väth ist der Körper von Techno. Wichtiger als seine Platten war immer die Rolle, die Väth ausfüllte: der DJ als Impresario

„In Slowenien leg ich vor Leuten auf, die ich nicht kenne. Dann geht’s abund ich denk: Geil.“

von TOBIAS RAPP

Jeder glaubt, Sven Väth zu kennen, hat Rainald Goetz einmal geschrieben, und das ist wahr. „Da und da hab ich den auflegen gesehen, das muss dann und dann gewesen sein, ist das schon so lange her? Da habe ich ihn doch auch gesehen, oder war das ein paar Jahre später? Und bei der Love Parade im Tresor, sonntags, schon voll drüber gewesen, eigentlich zu nichts mehr zu gebrauchen, bin nur hin, weil ich eh nicht schlafen konnte, aber dann – war das eine Abfahrt! Der hat es uns noch mal voll besorgt, mit Arme-Hochreißen und Schreien, das ganze Programm.“

So in etwa gehen die Geschichten, die man sich über Sven Väth erzählt. Man freut sich, dass man sich daran erinnert, sich an nichts mehr erinnern zu können.

Sven Väth, der DJ mit der Sauerstoffmaske. Wo er auflegt, da wird gefeiert: „Da kommen alle aus den Löchern, ja, is wieder geil, da kommt die ganze Familie – ‚Ah, der Sven is da‘ – und dann geht das wieder total ab. So ist das. Der Väth kommt, geil“, sagt der Väth und freut sich. Es ist ein verregneter Spätherbsttag, und im niegelnagelneuen Hauptstadtbüro der Plattenfirma sind noch nicht alle Dinge ausgepackt. Sven Väth trägt einen hessischen Akzent spazieren, und weil er in der kurzen Zeit viel zu sagen hat, spricht er sehr schnell. Er hat ein schwarzes T-Shirt an, eine schwarze Lederhose und schwarze Cowboystiefel, und seine blondierten Haare haben an ihren Spitzen ein dunkelgraues Ende.

So sah er nicht immer aus. In den frühen Neunzigern etwa hatte er sich die Haare abrasiert, nur einen kleinen blonden Zopf auf dem Hinterkopf ließ er stehen. Aber egal wie er gerade aussah, eines war immer gleich: Sven Väth stand für den bedingungslosen Willen zur Party.

„Das ist mein Charakter, das ist mein Naturell: Ich leb mich extrem aus. Meine DJ-Sets sind immer sehr ausgedehnt. Ich erzähl da gerne Geschichten, das ist ein Teil von mir. Aber ich kann auch in die ganz andere Richtung gehen. Allem entsagen, mich völlig zurückziehen, den Mönch spielen. Ich finde es schwierig, meinen Mittelweg zu finden. Will ich auch gar nicht, so bin ich nämlich nicht. Ich bin eher ein Grenzgänger. Der Sommer war heftig. Jetzt habe ich gerade so eine Ruhephase.“

Der richtige Zeitpunkt also, um zurückzublicken. Die kürzlich veröffentlichte Werkschau „Sven Väth Retrospective 1990–1997“ lässt noch einmal Väths Jahre bei Eye-Q und Harthouse Revue passieren – zwei Labels, die er mit betrieb und von denen er sich 1997 trennte. Gleichzeitig ist die Platte aber auch eine Reminiszenz an das Omen, jenen legendären Frankfurter Technoclub, den Väth in dieser Zeit noch jeden Freitag rockte und der ein Jahr später die Tore schließen musste.

Ein Kapitel will auch Väth mit seiner Platte schließen: „Stillstand ist der Tod“, sagt er. Hier ist alles versammelt, was den Sound of Frankfurt ausmachte, jene Techno-Unterabteilung, die Härte mit massenkompatibler Glätte verband – im Unterschied zum Berliner Sound etwa, der immer etwas dreckiger war als in Frankfurt, was aber passte, weil sich das Techno-Publikum dort auch eher aus feiernden Dienstleistern zusammensetzte als aus den für Berlin typischen Boheme-Kellerkindern. Da gibt es etwa „My Name Is Barbarella“ aus Väths erstem Album „Barbarella: The Art of Dance“. Oder das Titelstück von „An Accident in Paradise“, Väths zweitem Album – jener Platte, mit der ihm der internationale Durchbruch gelang, und überhaupt das erste Album, mit dem ein DJ einen weltweiten Plattenvertrag ergatterte. Zu Anfang klingt der Sound noch etwas harmonischer und weicher. Spätestens bei „Spectrum By Metal Master“ aber ist er dann das, was man damals „Brett“ nannte. Die meisten Stücke hat Väth zusammen mit Ralf Hildenbeutel produziert.

Anfang der Neunziger war die Zeit, die Sven Väth zu dem machte, was er heute ist: einer der bekanntesten deutschen Popstars, die Verkörperung von Techno und das erfolgreichste Beispiel für das neue Starmodell, das mit der elektronischen Musik die Bühne betrat: den Impresario. Der Impresario ist eine Figur, die einer Szene nicht nur ein Gesicht verleiht – etwas, das man vermarkten kann –, sondern genauso eine Person, die ihre zahllosen Kontakte nutzt, um die Sache weiterzubringen. Er ist kein Kontrollfreak, er delegiert. Er ist auch kein Künstler. Das Entscheidende ist die Party, nicht die Platte. Denn auf der Party legt er selbst auf, da ist er ganz bei sich.

Seine Platten produziert er dagegen gemeinsam mit anderen. Der Impresario hat ständig neue Ideen, und er hat ein Netzwerk von Leuten, die ihm bei deren Umsetzung zur Hand gehen. Der Impresario steht im Mittelpunkt, aber das ist Teil seines Jobs. Ohne das Netzwerk, das er um sich herum aufgebaut hat, funktioniert es nicht. Den Impresario kennen nicht nur alle, er kennt auch alle.

Andere Planeten des Dancefloor-Universums haben ähnliche Figuren. James Lavelle füllt diese Funktion für das Triphop-Downtempo-Segment aus, Goldie für Drum ’n’ Bass. Ganz so wie Lavelle eine bestimmte Form von Plattensammler-Spezialwissen repräsentieren und damit sein Mo’Wax-Imperium aufbauen konnte, so wie Goldie für eine bestimmte Form von Streetwiseness stand und so das Metalheadz-Label und seine Club-Abende zum Laufen brachte, so verkörpert Sven Väth Techno: die Grenzüberschreitung, der Körpereinsatz, das Exzessive, die Schlag-drauf-und-immer-noch-kein-Schluss-Mentalität, das Auflegen, bis sich auch der härteste Raver nicht mehr auf den Beinen halten kann, genau wie das Hippieeske, das Mit-der-Welt-eins-sein-wollen, die Indienreisen, die Ayurveda-Kuren. Dancefloor und Chillout-Area – Sven Väth ist der freundliche Techno-Übermensch.

Das hat auch etwas zutiefst Deutsch-Romantisches. Aber genau das braucht es auch, will man Techno tatsächlich ernsthaft repräsentieren. „Es wurde ja immer mal gesagt, das ist der Körper von Techno, das ist das Gesicht“, sagt er über sich selbst, „obwohl viele das dann lieber anonym gehabt hätten, nicht so personifiziert. Aber hinter allem steckt auch ein Leben. Und ich kann da voll dazu stehen.“

In diesem Leben ist Väth nicht nur DJ und Produzent, er ist auch Labelbetreiber, Club-Organisator, Sponsorenfinder und Ideengeber. Eine Musik, die sich eigentlich gegen Vermarktung sperrt, weil sie auf die Tanzfläche setzt, auf das Verschwinden des Stücks im Mix, braucht nicht nur Identifikationsfiguren – sie braucht vor allem begabte Kommunikatoren. Leute, die Verbindungen zwischen Underground und Industrie herstellen können. Leute, denen man auf beiden Seiten glaubt.

Sven Väth ist ein spiritueller Mensch. Das mag man für einen Hau halten, aber für einen Techno-Impresario folgt das einer gewissen Logik. Denn Techno hatte schon immer diesen Hang zum Hippietum, eine natürliche Folge der typischen Raverdrogen. Dieses Moment des „Spirits“ist auch das, was Väth antreibt. Etwa in Ibiza.

„In Techno, da steckt so viel Positives drin. It’s my life,das ist einfach so.“

Vor zwanzig Jahren, sagt Väth, sei er das erste Mal dagewesen und habe sich sofort in diese Insel verliebt. Die Insel stehe nämlich im Zeichen des Skorpions, genau wie er selbst. „Das Klima, der Beach, die Freaks: Die Insel hat was. Da waren Leute, die es wissen wollten. Die Freaks sind doch nicht nach Mallorca gegangen. Nina Hagen hat da Ufos gesehen, und ich glaub ihr das“, sagt Väth. Dann kam Acid, der Summer of Love – alles in Ibiza. „Electrica Salsa“, das Stück, mit dem Väth und das Projekt OFF in den späten Achtzigern ihren ersten Hit hatten und das sich drei Millionen Mal verkaufte, „das hätte es ohne Ibiza niemals gegeben“.

Dann sei er eine ganze Weile nicht mehr dagewesen, sagt er. Und als er Ende der Neunziger die Insel wieder betrat, musste er feststellen: Nichts war mehr so, wie es sein sollte. Die englische Club-Industrie hatte Ibiza übernommen: Jeder britische Großclub war nun mit einer Niederlassung präsent, und Pauschalraver ballerten sich ein Wochenende lang weg, um dann wieder nach Hause zu fliegen. „Da dachte ich mir: Das kann ich mir nicht ansehen. Die feiern nur für sich, die werden der Insel und dem Spirit nicht gerecht.“

Und so startete er seine eigenen Clubabende. 1999 zunächst nur als Testlauf, in diesem Jahr dann richtig. Unter dem Namen Cocoon zog er Woche für Woche mehrere tausend Leute ins „Amnesia“. Und dort legten dann von Laurent Garnier über Richie Hawtin bis zu DJ Rush alle auf, die im Techno Rang und Namen haben. Sven Väth natürlich auch. Deswegen war der Sommer auch heftig. Die Bilder zu den Partys kann man sich im Booklet der Mix-CD zum Club anschauen.

Väth denkt allerdings schon wieder weiter. „Das DJen - gelernt ist gelernt, klar, das mach ich. Das ist auch wichtig: Platten kaufen, auflegen. In Slowenien oder in Malaysia im Dschungel, da leg ich vor Leuten auf, die kenn ich gar nicht, und dann geht das ab, und ich denk: Geil.“

Wichtiger ist ihm jedoch, weiterzugehen, nicht stehen zu bleiben, diese Technosache weiterzubringen. Festivals schweben ihm vor, ein Büro in Berlin will er eröffnen, eine regelmäßige Clubnacht in Berlin veranstalten. „In Techno, da steckt so viel Positives drin. It’s my life, das ist einfach so. Leute connecten und happy machen und mich selber auch.“ So sitzt man dann zu Hause und hört sich die Platten an und denkt an vergangene Partys. Doch etwas fehlt, und das ist er: Man sieht ihn ja nicht. Ihn, den Sven, den Körper von Techno. „There is no fate“, sagt eine Stimme zu Beginn des ersten Tracks auf der „Retrospective“, und es stimmt: Da ist kein Väth.

Nur die Blumenvase auf der Box, die Schuhe auf dem Fußboden und der CD-Stapel neben der Anlage.

Sven Väth: „Retrospective 1990–1997“ (WEA); Sven Väth In The Mix: „The sound of the first season“. Cocoon Recordings (Intergroove)