„Wir haben die Gesundheit der Menschen aufs Spiel gesetzt“

Bayerische Milchbauern erstatten Anzeige gegen politisch Verantwortliche in München. Die hätten geduldet, zugeschaut und damit die Existenz der Bauern gefährdet

KEMPTEN taz ■ Es brodelt, und wenn es bei den Bauern brodelt, dann nehmen sie kein Blatt vor den Mund. „Der soll doch seinen Hut nehmen, genauso wie der Sonnleitner!“, forderten gestern auf einer eilends einberufenen Pressekonferenz in Kempten aufgebrachte Landwirte und meinen damit den bayerischen Landwirtschaftsminister Josef Miller und den Bauernpräsidenten. So treu sie jedes Mal in großer Mehrheit CSU wählen, so vehement wird jetzt gegen die Minister Miller und seine Kollegin Stamm aus dem Sozialministerium gewettert. Und gegen den Mann, der als Präsident des Deutschen Bauernverbandes ihre Interessen vertreten sollte.

Dass einer der ihren, der Sulzberger Bauer Josef Feneberg, in dessen Bestand am Wochenende der erste entdeckte bayerische BSE-Fall aufgetaucht ist, jetzt die Versäumnisse der bayerischen und der Bundespolitik ausbaden muss, lässt die Milchbauern vor Wut schäumen. Völlig fix und fertig haste dieser auf seinem Hof hin und her, weil er jede Stunde damit rechnen müsse, dass seine Tiere abgeholt werden und sein gesamter Bestand, die Arbeit jahrelanger Zucht, kurzerhand gekeult wird. Ihnen allen könnte es bald genauso ergehen.

„Die haben in nahezu krimineller Art und Weise die Gesundheit der Verbraucher und die Glaubwürdigkeit der Landwirtschaft aufs Spiel gesetzt“, wird dem Landwirtschaftsministerium und dem Sozialministerium gleichermaßen vorgeworfen. Doch diesmal ist einiges anders, da nützten Beschwichtigungsformeln aus München nicht mehr viel.

Den harten Worten ließen die Milchbauern gestern prompt auch Taten folgen. „Wir fahren jetzt zur Staatsanwaltschaft und übergeben dort unsere Anzeigen“, verkündete Hans Foldenauer, der Vorsitzende des „Krisenstabes“, einer Milchbauernvereinigung mit immerhin 730 Mitgliedern, am Ende der Pressekonferenz. Zuvor begründeten die Landwirte ihre Vorwürfe: „Sie haben jahrelang zugeschaut, wie man Rinderkraftfutter mit Tiermehl verunreinigt hat. Damit wurde nicht nur die Existenz unserer Betriebe gefährdet, sondern, was viel schlimmer ist: Wir haben, ohne es zu wissen, die Gesundheit unserer Bevölkerung aufs Spiel gesetzt.“ Dies sei deshalb geschehen, weil die Landwirte sich auf die Deklaration der Futtermittel verlassen hätten. Von Tiermehl sei da nichts draufgestanden.

Auch bei den so genannten Milchaustauschern, billigem Trockenmilchersatzfutter für Kälber, seien sie getäuscht worden, schimpfen die Milchbauern. Das sei schlicht und einfach nicht klar deklariert worden. Außerdem seien die Bauern in eine völlig falsche Richtung gelenkt worden. Nur weil es ein paar Pfennig billiger sei, habe man den Kälbern statt Milch diese Milchaustauscher verfüttert. Maria Heubuch, die Bundesvorsitzende der ABL (Arbeitsgemeinschaft Bäuerliche Landwirtschaft), zog deshalb so richtig vom Leder. „Wir brauchen kein Ersatzfutter für unsere Kälber, wir haben eine Eigenversorgung bei Milch von 120 Prozent. Und dann sagt der Herr Sonnleitner, unsere Kälber müssten verhungern. So ein Blödsinn. Unseren Kälbern füttern wir das Fett aus Abfallprodukten, und unsere Milch müssen wir in den Gully kippen, weil wir zu viel produzieren.“ Bundeskanzler Schröder werde von den Bauern beim Wort genommen, wenn er eine andere Landwirtschaft fordere. Das gehe freilich nicht unter Produktionsbedingungen, die da lauten: „immer mehr und immer billiger“.

Und dann knöpften sich die Bauern auch die Futtermittelindustrie vor. Auch gegen sie wurde Anzeige erstattet, freilich formuliert als „Anzeige gegen unbekannt“. Der Staatsanwalt müsse herausfinden, wie es zu den unverantwortlichen Verunreinigungen bei fünfzig Prozent aller geprüften Futtermittel in Bayern gekommen sei. Nein, zu Mitschuldigen wollten sie sich nicht so ohne weiteres machen lassen.

Auch die SPD in Bayern hat sich inzwischen des Themas angenommen, hat erkannt, dass sich Landwirtschafts- und vor allem Sozialministerium derzeit bestens angreifen lassen. Die Sozialministerin wurde zum „Rücktritt wegen ihrer Strategie der Vertuschung“ aufgefordert. Schließlich könne es nicht sein, dass wochenlang ein BSE-auffälliges Tier getestet werde und die Öffentlichkeit davon nichts erfahre. Die Ministerin wiegelte einmal mehr auf bekannte Weise ab. Der erste Test sei nun mal negativ verlaufen, und nur weil – wegen der typischen BSE-Anzeichen bei dem Rind – noch ein Gegentest veranlasst wurde, habe es so lange gedauert. Man habe nichts vertuschen wollen.

KLAUS WITTMANN