Rot-Grün wurschtelt sich durch

Die Glaubwürdigkeit der Gesundheitsministerin ist angeknackst. Immerhin räumte Andrea Fischer stets ein: „Es gibt keine hundertprozentige Sicherheit“

von MATTHIAS URBACH

Was ist eigentlich Separatorenfleisch? Stellen Sie sich vor, Sie haben eine Hühnerkeule abgenagt. Sie würden sie nun wegwerfen. Nicht die Wurstindustrie. Die weicht den Knochen ein, schabt die restlichen Fleischfetzen mit groben Bürsten ab – und verwurstet sie.

So oder so ähnlich wurde das auch der Gesundheitsministerin erklärt, Mittwochabend in einem Anruf vom Bundesamt für Verbraucherschutz und Veterinärmedizin. Wenn dieses Separatorenfleisch nun von der Wirbelsäule eines Rindes gewonnen wird, kann auch Rückenmark oder anderes hochinfektiöses Material in die Wurst gelangen.

Prompt, erklärte gestern ein Sprecher, habe die Ministerin eine Pressemeldung aufgesetzt. „Produkte mit älterem Separatorenfleisch sofort zurückziehen“, heißt es darin. Denn bis zum 1. Oktober durfte solches Separatorenfleisch noch verwandt werden. Und das ist noch nicht ganz aufgegessen.

Die Eile hätte Andrea Fischer sich sparen können. Denn so etwa stand es auch in einem Brief von der Bundesanstalt für Fleischforschung, der schon eine Woche auf irgendeinem Schreibtisch im Gesundheitsministerium lag, ohne dass die Leitungsebene davon Wind bekam. Eine Panne, die nun Ministerin Fischer in die Bredouille bringt. Schließlich hatte sie am Dienstag noch erklärt, „Risikomaterial wird nach unserem Kenntnisstand seit Jahr und Tag nicht mehr in Wurst verarbeitet.“

Da hilft es nicht viel, dass es vorgestern noch um die Frage ging, ob Rinderhirn in der Wurst verarbeitet werde. An der Antwort darauf („Nein“) hat sich gestern nichts geändert. Auch hilft es nicht, dass das Separatorenfleisch nur in Koch- und Brühwurst verarbeitet wird. Die Glaubwürdigkeit von Andrea Fischer ist angeknackst. Denn den Verbraucher interessiert nur die Frage: Kann ich meine Wurst bedenkenlos essen? Die Frage, ob es ein hohes oder bloß geringes Risiko ist, all das ist egal.

Die Sache ist umso peinlicher, als Fischer dem EU-Verbraucherkommissar David Byrne einen Mangel an „Sachkenntnis“ vorwarf, als er Anfang der Woche die Frage aufwarf, ob deutsche Wurst sicher sei. Die Panne ist typisch für das rot-grüne Krisenmanagement. Es zeichnet sich aus durch hektisches Handeln: Da ist erst ein generelles Tiermehlverbot überflüssig, dann doch nötig. Erst will man es per Eilverordnung durchsetzen, dann als Gesetz. Dazwischen fallen große Worte. Immerhin vier Wochen sind vergangen, seit nachgewiesen wurde, dass auch deutsche Rinder dem Wahn verfallen sind. Zeit genug, eine Krisenrunde mit Experten zusammenzurufen und alle riskanten Lebensmittel abzuhaken. Sollte man meinen. Immerhin trat gestern erstmals ein Arbeitskreis BSE in Bonn zusammen, in dem Wissenschaftler, Politiker aus Regierung und Parlament sowie Verbraucherschützer zusammensaßen.

Immerhin machte Andrea Fischer aus der schwer einzuschätzenden Situation bislang keinen Hehl. „Es gibt keine hundertprozentige Sicherheit“, erklärt die Ministerin immer wieder. Und weist auch darauf hin, dass sie selbst keine Wurst mit Rindfleisch mehr isst. Viel deutlicher kann eine Ministerin in Zweifelsfällen nicht werden. Sie hat sich, egal wie hysterisch die Öffentlichkeit reagiert, immer gegen Schadensersatzklagen der Fleischindustrie abzusichern.

Ganz anders Agrarminister Funke (SPD), der noch immer seine Mär vom „Schlachter des Vertrauens“ erzählt. Als ob die ihre Rinder nicht größtenteils aus denselben Quellen beziehen wie die Supermärkte. Und als ob die bislang mit BSE aufgefallenen Rinder aus besonders üblen Ställen stammten.

Und auch der Kanzler erzeugt mit seiner recht lapidar formulierten Forderung nach einer Abkehr von „den Agrarfabriken“ vielleicht eine Weile Erleichterung bei den Verbrauchern. Zur Bewältigung der BSE-Krise ist es freilich kein Beitrag, insbesondere weil die Art und Weise, wie denn nun die Agrarfabriken verschwinden sollen, völlig im Unklaren bleibt. Derweil dementiert Funke auf Bauernversammlungen bereits wieder den Ernst der Ankündigung seines Kanzlers. Wer glaube, eine andere als eine hoch technisierte Landwirtschaft bewerkstelligen zu können, sagte der Agrarminister vor drei Tagen auf einer Versammlung des „Landvolkes“ in Diepholz, entferne sich weit von der Realität.

Die Unzufriedenheit über den Bauern im Ministerrang bewegte die Fraktionen von SPD und Grünen inzwischen dazu, die Einrichtung eines Verbraucherministeriums zu fordern. „Langfristig wäre ein Ministerium zum Schutz der Verbraucher sinnvoller als eine Landwirtelobby im Kabinettsrang“, sagt etwa die grüne Fraktionschefin Kerstin Müller trocken.