Wenn Weihnachten ... ... am Südpol ... ... die Sonne scheint

■ Forscher des Alfred-Wegener-Instituts aus Bremerhaven begehen das Christfest mit Schneegarantie / Dafür geht die Sonne nicht unter / Und zum Duschen muss die Eis-WG Minusgrade von bis zu zwölf Grad unter Null ertragen

Bremen/Antarktis – Klasse Kumpels, Ski- und Rodel ideal. Vielleicht zieht es deshalb so viele Forscher des Alfred-Wegener-Institutes aus Bremerhaven an Heiligabend in die Antarktis.

Kreuz des Südens und Polarlicht – von wegen! Romantik ist nicht am Südpol. Denn Weihnachten gibt es kein Polarlicht. Es gibt überhaupt keine Dunkelheit. Nur Sonne, gleißend hell und 24 Stunden am Tag. Morgens gilt der erste Griff der Sonnenbrille. Bis zum Horizont dehnt sich ein Schneefeld, das Bräunungsfanatiker ihr reflektierenden Alu-Matratzen wegwerfen ließe. Doch auch ohne Sterne gibt es Tag und Nacht. Nachts steht der Glutball tiefer, die Temperaturen fallen bis auf minus 35 Grad Celsius. Laptop-Bildschirme versagen, Elektrokabel knacken. Auf Ausflügen tragen die Forscher Fleece bis zur Unterhose. Und in den Handgriffen der Motorschlitten steckt eine Elektro-Heizung.

Weihnachten heißt Südpol-Hektik: Aus aller Welt nutzen Wissenschaftler den antarktischen Sommer. Im Eismeer versehen sie Robben mit Sendern oder stoßen auf heiße Quellen am Meeresgrund. Auf dem Eis bohren sie Kerne aus einem tiefen Loch: Aus dem Schnee, der vor Tausenden von Jahren fiel, können Chemiker ablesen, wie sich das Klima im Laufe der Zeit veränderte.

Für die promovierte Chemikerin Astrid Löwe ist der Kollegen-Besuch eine Abwechslung: Seit elf Monaten sitzt die Forscherin des Bremerhavener Alfred-Wegener-Institutes im Eis vergraben: Für Langzeit-Beobachtungen bohrten die Forscher einst die Neumayer-Station in den Eispanzer: Sechs Meter tief führen zwei Treppentüren in zwei 90 Meter lange Wellblechröhren. Küche, Messe, Waschräume, Funkraum und ein OP-Saal fasst der eine Tunnel. Neun Privatzimmer und Labors liegen gegenüber.

Fünf Meter lang mal ein Bett quergestellt misst die Privatfläche jedes einzelnen. Darauf quetschen sich ein Schrank, Schreibtisch, Regal, Tisch und Stühle. Das beigebraune Pressspan-Ambiente hat die Gemütlichkeit eines CVJM-Clubraums. In der Wand (Holz mit Plastik) steckt eine Dampfsperre – Nägel sind also verboten in diesem Tetra-Pack für Menschen.

Wer morgens Duschen will, muss durch den „Minusbereich“: bis zu 12 Grad unter Null. „Gemäßigte Temperaturen“, denen sich die Südpol-WG angeblich „im Schlafanzug aussetzt“. Trotzdem erscheint die Unterkunft als Luxus – verglichen mit den Zelten im Sommercamp. Mit einer Lichterkette versucht die Chemikerin ein wenig Kerzenschein statt Neonlicht zu imitieren: Feuer ist natürlich tabu. „Ganz viel Privates“ solle sie mitnehmen, hatten ehemalige Überwinterer ihr geraten. Viele hatten Kuscheltiere dabei (vorzugsweise Pinguine). Manche schleppen Modellbausätze, Lampen, sogar eigene Teppiche mit. An Löwes Pinnwand hängen Erinnerungsfotos. Daneben steht das Modell einer Standuhr in Bielefeld. Freunde hatten die Miniatur gebastelt, zur Erinnerung an ungezählte Infostände, die das Greenpeace-Mitglied am Fuß der Uhr betreuen musste.

Wer feine Ohren hat, kann in der Station manchmal ein Knacken hören: Das Eis arbeitet, verschiebt sich und drückt gegen das Wellblech. Vor acht Jahren hatten die frischverlegten Röhren noch kreisrunde Durchmesser von acht Metern Durchmesser. Jetzt sind sie leicht elliptisch. Irgendwann einmal werden sie platt sein. Zudem versinkt die Forscherklause: 80 Zentimeter Neuschnee fallen pro Jahr rund um die Treppentürme.

Die Decke ihrer Zimmerschachtel fällt Löwe trotzdem nicht auf den Kopf: Einmal täglich muss sie die Luftbestandteile messen, also vorbei an den Eisblumen im Treppenturm und 1.600 Meter zum Spuso (Spurenstoff-Observatorium). Der Abstand ist notwendig, damit sie keine Verunreinigungen aus der Station misst. Stattdessen weht Gift aus der Nordhalbkugel in die Polarregion: Flammschutzmittel etwa, das aus Computergehäusen dampft und sich im Speck der Tiere ansammelt. Einmal täglich hilft sie dem Meteorologen beim Start des Wetterballons, der Druck, Temperatur und Feuchtigkeit festhält. Und das Ozonloch. Tendenz: wachsend.

Für den kurzen Weg braucht Löwe 25 Minuten – bei gutem Wetter. Denn ein antarktischer Schneesturm hat 100 Stundenkilometer. Genug, um sich dagegen zu lehnen. Der Sturm, die Luft, die Formen im Schnee – das ist der Eisbazillus, der viele Leute wiederkommen lässt. Und selbst die Polarnacht (20. Mai bis 23 Juli), in der die Sonne für zwei Monate unsichtbar bleibt, sei manchmal „richtig toll bunt“: Zwölf Uhr mittags kommt die Sonne dem Aufgehen so nahe, dass Morgen- und Abendrot zu einem einzigen Farbenspiel verschmelzen. Trotzdem bleibt der erste Sonnenaufgang im Juli ein Fest, zu dem die Forscher ins Freie stürzen, obwohl ihnen der Sekt in den Gläsern gefriert.

Weihnachten ist das Abschiedsfest: Die Sommergäste fluten den Kontinent, die neuen Überwinterer machen sich mit ihren Aufgaben vertraut. In ihrem Eisbunker haben die Forscher einen Weihnachtsbaum, „aus Plastik, natürlich, aber einigermaßen vertretbar“. Heiligabend setzt der Koch die hohe Mütze auf, die er vor zwölf Monaten extra in den Seesack stopfte. Und die Forscher werden ihre besseren Klamotten hervorkramen. Für Gänsebraten, Klöße, Kohl drucken sie eine Speisekarte.

Doch das größte Fest des antarktischen Jahres liegt dann schon sechs Monate hinter den Überwinterern: Mittwinter. Vielleicht ist Weihnachten in der Antarktis in Wirklichkeit am 21. Juni. Denn an Mittwinter ist die Hälfte der Dunkelheit vorüber. Dann gibt es Festessen und Feuerzangenbowle. Dann funkelt der Schnee unter dem weltklarsten Sternenhimmel. Dann begraben die Forscher manch kleinkarierten Streit aus den Wohncontainern. Und dann, wenn sie Glück haben, tanzt über ihren Köpfen sogar ein Polarlicht.

Florian Klebs/Fotos: AWI