Dramatischer Schmelz

■ Symbolträchtig: Nach monatelanger Umbauphase feierte das Theater Bremerhaven mit Verdis „Attila“ eine umjubelte Premiere

Symbolischer Auftakt zur Wiedereröffung des Stadttheaters in Bremerhaven: Auf dem Programm stand jene Oper, mit der Bremerhaven in den 1960er Jahren bundesweit Furore machen konnte: „Attila“, ein frühes Werk von Verdi, hatte seine deutsche Erstaufführung am Stadttheater, wo es – einmalig für die Theatergeschichte der Stadt – drei Spielzeiten zu sehen blieb.

Entsprechend hoch gesteckt waren die Erwartungen bei der weihnachtlichen Premiere im seit Wochen ausverkauften Haus, dessen Bühnentechnik in der 18-monatigen Umbauphase auf High-Tech-Niveau gebracht wurde. Regisseur Peter Grisebach enttäuschte die Erwartungen nicht: Er stützte sich auf ein außerordentlich präsentes Orchester, das unter der zupackenden Leitung des neuen Generalmusikdirektors Stephan Tetzlaff von Anfang an jene Balance aus melodramatischem Schmelz und heftig-rauer Dynamik entwickelte, die dieses Jugendwerk auszeichnet.

Grisebach fuhr eine Garde ungewöhnlich starker Stimmen auf, und er malte mit kräftigen Farben große, plakative Bilder. „Attila“ erzählt eine Geschichte aus dem fünften Jahrhundert, die Verdi und sein Librettist Temistocle Solera für das Italien des Risorgimento zur politischen Parabel machten, und deren musikalische Kraft zu Unrecht kaum bekannt ist.

Der Hunnenkönig Attila ist in Italien eingefallen, er hat Aquileia, die Hauptstadt Venetiens, erobert und ist bezaubert von Odabella, der gefangenen Tochter des getöteten Herzogs von Aquileia. Der General Enzio schlägt ihm einen Pakt vor: Er solle ihm Italien überlassen, Attila bleibe dafür die übrige Welt. Attila lehnt ab, er will Rom erobern. Odabella bleibt in seiner Nähe, rettet ihn vor einem Giftattentat des Freundes und Widerstandskämpfers Foresto, um ihn schließlich persönlich mit seinem eigenen Schwert umzubringen.

Die krude Story entwickelt sich vor allem im letzten Akt in schnellen Sprüngen, es ist eine Räuberpistole ohne jede psychologische Feinarbeit. Konsequent versuchte Grisebach erst gar nicht, den Figuren tiefere Konturen zu geben. Sie sind musikalische Ausdrucksträger direkter Leidenschaften, und die Musik mit ihren temporeichen Chorpartien, ihren volkstümlichen Melodien und ihrem militärischem Ornament dürfte das Bleibende dieses Werks sein.

Grisebachs Bühnenbildner Christopher Hewitt hat mit einem exzellenten Bild die Möglichkeiten der neuen Bühnentechnik eingesetzt, ohne dabei zu protzen. Er spannt einen mehrfach gestaffelten kreisförmigen Himmelshorizont über die Spielfläche, die er in einen Außen- und einen Innenkreis absetzt. Wenn der Innenkreis abgesenkt wird, sieht das Ganze wie ein düsterer Abgrund aus, an dessen Rand sich die Figuren bewegen.

Grisebach inszenierte die Chöre streng statisch, weder sie noch die Solisten zeigten viel Bewegungen oder Gefühle. Das galt vor allem für Elena Pankratova. Die junge Sopranistin gab mit voluminöser Stimme den Part der Odabella, aber sie trat wie eine Diva auf, ohne jede sichtbare Spur von Gefühl. Vesselin Stoykov überzeugte als Sänger, doch den gestrengen Hunnenkönig Attila musste er stets mit dem gleichen grimmig geschminkten Gesicht verkörpern. Allein der herausragende Sänger Boris Trajanov als General Enzio durfte die Emotionalität seiner Figur bis in die Fingerspitzen ausloten. Grisebachs Grundgedanke ist eindeutig: Fragen wir nicht nach erklärbaren Motiven und Gefühlen, von Verdis „Attila“ bleibt ein Strom schöner Musik in plakativen Bildern. Der Beifallssturm dauerte fünfzehn Minuten und endete mit stehenden Ovationen. Hans Happel

Weitere Vorstellungen am 29. Dezember; 6., 10., 12., 21. Januar. Infos: Tel.: 0471/48 20 60