Keine Ausreden mehr für Djindjić

Die „Demokratische Opposition Serbiens“ wurde mit Zweidrittelmehrheit an die Macht gewählt. Sie muss ein Land in katastrophaler Lage umgestalten

aus Belgrad ANDREJ INVANJI

Als Zoran Djindjić in der Nacht von Samstag auf Sonntag im Belgrader Rathaus mit einem strahlenden Lächeln vor laufenden Fernsehkameras die erste Champagnerflasche öffnete, begann für Serbien ein neues Zeitalter. Der neue Ministerpräsident Serbiens feierte den überzeugenden Sieg der „Demokratischen Opposition Serbiens“ (DOS), die bei den vorgezogenen Parlamentswahlen am Samstag 176 von 250 Mandaten gewonnen hatte.

„Die Zweidrittelmehrheit garantiert eine stabile Regierung. Doch wenn wir keine Erfolge verzeichnen, werden wir keine Ausrede haben“, erklärte Djindjić.

Vorausgegangen war ein Wahlkampf ohne große Aufregung. Der Sieg der DOS war gewiss, und dementsprechend war die Wahlbeteiligung mit 68 Prozent geringer als bei den Wahlen für das Bundesparlament und den Bundespräsidenten am 24. September, die die Ära von Slobodan Milošević eigentlich schon beendet hatten.

Die einzige Überraschung war der Einzug der ultranationalistischen „Partei der serbischen Einheit“ (SSJ) ins Parlament, die bei den Wahlen 1997 nur 5.590 Wähler hatte. Sie wurde damals vom berüchtigten Milizführer Zeljko Raznatović, genannt Arkan, angeführt. Nachdem dieser in einem Belgrader Nobelhotel erschossen wurde, übernahm sein Stellvertreter, der Kickboxer Bozidar Pelević, die Partei. Für sie stimmten diesmal mehr als 190.000 Serben und verschafften ihr 14 Sitze im Parlament. Der Anstieg dieser neuen Rechtspartei wird mit der Krise in Südserbien und der schwierigen Lagen der im Kosovo verbliebenen Serben in Zusammenhang gebracht.

Milošević’ „Sozialistische Partei Serbiens“ (SPS) sank von 44 auf 13,5 Prozent der Stimmen und ist der große Verlierer. Slobodan Milošević erwartet schon Anfang des kommenden Jahres ein Gerichtsverfahren. Demnächst wird ihm auch der Polizeischutz entzogen. Er sei jetzt „ein gewöhnlicher Bürger“, sagte Vladan Batić, Kandidat für das Amt des Justizministers. Ein weiterer großer Verlierer ist der einst populärste serbische Oppositionsführer Vuk Drašković mit seiner „Serbischen Erneuerungsbewegung“ (SPO). Von 18 Prozent 1997 fiel er auf 3,7 Prozent und wird im Parlament nicht mehr vertreten sein. Drašković wurde dafür bestraft, dass er periodisch mit dem Regime Milošević’ zusammenarbeitete und sich der DOS nicht anschließen wollte.

Die extrem nationalistische „Serbische Radikale Partei“ (SRS) mit ihrem Vorsitzenden Vojislav Šešelj fiel noch schlimmer von 32,5 Prozent auf 8,5 Prozent, wird aber immerhin mit 22 Abgeordneten im Parlament vertreten sein.

Die neue serbische Regierung und Premier Zoran Djindjić übernehmen das Land in einem katastrophalen Zustand. Der Raubbau des ehemaligen Regimes hat die Wirtschaft ruiniert, die Arbeitslosigkeit liegt bei rund 50 Prozent. Im Süden des Landes, an der Grenze zum Kosovo proben albanische Freischärler einen neuen Aufstand. Deswegen will Jugoslawien das Abkommen mit der Nato über die Pufferzone in Südserbien möglichst schnell ändern.

Die Verbrecher aus der früheren Nomenklatur sollen vor Gericht gestellt werden. Doch zuerst müssen unabhängige Gerichte und Staatsanwaltschaften bestimmt und ins Amt eingeführt werden. Das Rechtssystem muss neu geordnet werden, denn ohne entsprechenden Sicherheiten werden die bitter nötigen Auslandsinvestitionen, ohne die die bankrotte Wirtschaft nicht angekurbelt werden kann, ausbleiben. Die Erwartungen der ungeduldigen Bürger an die neue demokratische Regierung sind hoch, Djindjić führt ein Wettrennen mit der Zeit. Bis zu acht Stunden täglich muss in Serbien der elektrische Strom abgeschaltet werden, die Fernheizung funktioniert kaum. Und, wie ein Kommentator schrieb, die frierenden Bürger Serbiens sind sich bewusst geworden, dass sie die Fehler der Politiker jederzeit bestrafen können. Eine weitere Frage ist, ob die heterogene DOS dem Druck der riesigen Probleme in Serbien wird standhalten können. Sicher ist jedoch eines: Die Zeiten unantastbarer, charismatischer Führer sind in Serbien vorbei. Den Prozess der Demokratisierung kann man nicht mehr aufhalten.