In Arafats Hand gegeben

aus Jerusalem ANNE PONGER

Die Reaktionen auf den jüngsten Entwurf zu einem Friedensvertrag waren einheitlich: taktische. Israel hat die amerikanischen Vorschläge im Prinzip zwar akzeptiert, macht seine Zustimmung aber vom Votum der Palästinenser abhängig. Palästinenserführer Jassir Arafat will die Vorschläge erst noch studieren. Im Laufe des heutigen Tages sollen sich jedoch beide Seiten erklären. So hat es US-Präsident Clinton gefordert.

Am Montagabend hatte Ehud Barak im Fernsehen betont, bei dem Vertragsentwurf werde es sich um eine „Deklaration von Prinzipien“ handeln, wie im Falle der Osloer Abkommen im September 1993. Vor Vertragsunterzeichnung seien noch mehrere Verhandlungsmonate notwendig. Israel werde sich eine Vertragsverweigerung jedoch nicht leisten können, ohne einen hohen internationalen Preis zu bezahlen. Obwohl Israel mit dem Abkommen innere Zerrissenheit riskiere, werde er alles tun, um die existenziellen Interessen des jüdischen Staates nicht zu verletzten. Jetzt seien die Palästinenser am Zug.

Israel hat dem Vernehmen nach nur „leichte Vorbehalte“ zu einer Anzahl von Punkten. Dazu gehört die Souveränität über den unteren Teil des Tempelberges mit der Klagemauer, eine auf drei Jahre begrenzte Kontrolle über einen schmalen Korridor im Jordantal und eine Rückgabe von 90 bis 95 Prozent des Westufer-Territoriums. Die Palästinenser fordern Souveränität über den gesamten Tempelberg, wollen den Israelis nur eine zweijährige Kontrolle über einen Jordantal-Korridor zugestehen und fordern 97 Prozent der palästinensischen Gebiete, die Israel seit dem Sechstagekrieg von 1967 besetzt. Israel will seinem Staatsgebiet drei jüdische Siedlungsblocks einverleiben und im Gegenzug den Palästinensern ein Stück des Negev zur Vergrößerung des Gaza-Streifens überlassen.

In der Jerusalem-Frage ist Israels Premier Barak bereit, den Palästinensern Souveränität über den östlichen Stadtteil und die arabischen Vororte sowie eine „faktische Hoheit“ über die heiligen muslimischen Stätten am Tempelberg zu gewähren. Die Klagemauer soll dabei unter israelischer Kontrolle bleiben. Israels Angebot wird derzeit noch von palästinensischem Entgegenkommen im Streit um das volle Rückkehrrecht aller mittlerweile vier Millionen Flüchtlinge abhängig gemacht. Selbst im israelischen Friedenslager weist man darauf hin, dass die Möglichkeit der Rückkehr einer großen Zahl von Flüchtlingen Israels Existenz als jüdischer Staat in Frage stellen würde. Doch ein solch weit reichendes Zugeständnis wird sich Arafat womoglich nicht leisten können.

Amerikaner und Europäer haben vorgeschlagen, dass die Flüchtlinge von 1948 entweder finanziell entschädigt oder mit internationaler Hilfe im zukünftigen Staat Palästina neu angesiedelt werden. Da im Rahmen des Friedensabkommens jüdische Siedlungen im Westufer und Gazastreifen geräumt werden müssen, wird mittlerweile bereits erwogen, palästinensische Flüchtlinge in evakuierten Siedlerhäusern unterzubringen. Wer die Kosten für den Transfer von rund 55.000 Siedlern aus 60 Siedlungen im Zentrum des Westjordanlandes und im Gazastreifen einschließlich Feldern und Industrieanlagen tragen wird, ist noch ungeklärt. Es wird davon gesprochen, dass ganze Siedlungen an die Palästinenser verkauft werden sollen, um die Rückkehr von Siedlern ins israelische Kernland oder ihren Umzug in die zu annektierenden Siedlungsblocks zu finanzieren.

Welche Chancen die neuen Friedensvorschläge haben, ist schwer einzuschätzen. In Israel ist Wahlkampf. Außenminister Schlomo Ben Ami sprach am Montag von einem „Durchbruch“ und empfahl seiner Regierung die Annahme der Clinton-Pläne. Oppositionsführer Ariel Scharon warnte hingegen vor einem „Ausverkauf“ Israels. Ein Friedensplan wäre Baraks einzige Chance auf Wiederwahl, aber keine Garantie. Mehr als 20 Prozent der Barak-Wähler von 1999 wollen die Neuwahlen auch dann boykottieren, wenn Barak einen Friedensvertragsentwurf vorlegen kann. Dazu gehört vor allem Israels arabische Bevölkerung, die dem Ministerpräsidenten die blutige Unterdrückung der Oktober-Unruhen in arabischen Städten und Dörfern nicht verzeiht.

Aber auch ein Teil der traditionellen Linkswähler steckt im Dilemma. Während Barak den Ruf gewonnen hat, ein Friedensabkommen zwar zu wollen, es gegen aktive und eventuell gewalttätige Opposition jedoch nicht in die Tat umsetzen zu können, gilt Scharon eher als ein „Bulldozer“, der die schmerzhaften Rückzüge zwar durchsetzen könnte, jedoch nicht will. Vor einer Woche hatte Scharon allerdings erklärt, er werde sich als Ministerpräsident um eine große Koalition mit der Arbeiterpartei bemühen und Barak den Posten des Verteidigungsministers anbieten. Bedingung der Arbeiterpartei für einen Beitritt in eine Koalition mit dem Likud wäre mit Sicherheit die Garantie, den Friedensvertragsentwurf zu würdigen. Am Dienstag wurde bereits die Tendenz deutlich, mit der Scharon zumindest seinen Wahlkampf zu führen gedenkt: „Ministerpräsident Barak hat weder ein politisches noch ein moralisches Recht, schicksalhafte Entscheidungen zu verhandeln, nachdem er zurückgetreten ist und keine Knesset-Mehrheit mehr kontrolliert. Wir sind entschlossen, unsere ewige Hauptstadt nicht teilen zu lassen und jüdische heilige Stätten nicht aufzugeben.“