2001: Umzugswelle der Ärmsten?

■ Mieten von SozialhilfeempfängerInnen, die die Sozialverwaltung bisher immer bezahlt hat, werden von Neujahr an auf „Angemessenheit“ geprüft / Wer zu teuer wohnt, soll umziehen

Zum 1. Januar wird das Wohngeld erhöht. Damit das Bundesgesetz in Bremen umgesetzt werden kann, wurde dieser Tage eine Verwaltungsanweisung erlassen – eine Art Gebrauchsanweisung, wie das Gesetz in Bremen konkret anzuwenden sei. Eine reine Formalie, heißt es aus dem Sozialressort. Eine mögliche Katastrophe, sagen dagegen Fachleute außerhalb der Verwaltung.

Denn unter der Ziffer 3.1 und der Überschrift „Sozialer Wohnungsbau“ steht, dass fortan im Sozialen Wohnungsbau des 1. Förderwegs, also den Wohnungen, die vorwiegend für SozialhilfeempfängerInnen bestimmt sind, nach preiswerteren Alternativen gesucht werden sollte. Das könnte, so befürchten Initiativen wie die Aktionsgemeinschaft arbeitsloser BürgerInnen (Agab), bedeuten, dass viele Menschen von Amts wegen umziehen müssen.

Bisher hat die Sozialverwaltung diese Mietkosten in voller Höhe übernommen; künftig will man mit den Eigentümern um die Miete feilschen und dann – falls die nicht feilschen wollen – billigeren Wohnraum anmieten. Hintergrund ist, dass mit dem erhöhten Wohngeld auf die Verwaltung trotzdem höhere Kosten zukommen könnten.

Wohngeld wird je zur Hälfte von Bund und Land bezahlt. Es deckte und deckt auch künftig immer nur einen Teil der Mietkosten. Den Rest schießt der Sozialhilfeträger zu. Bisher war es so, dass Wohngeld als Pauschale gezahlt wurde, als festgesetzter Anteil der Mietkosten – egal, wie hoch diese sind. Grund für die schlichte Regelung: Sie spart Verwaltungsaufwand.

Künftig soll mit den neuen Wohngeldtabellen, die zu Jahresbeginn gültig werden, für jeden Einzelfall ausgerechnet werden, wie viel ihm genau zustehe – unabhängig von den tatsächlich anfallenden Kosten. Und das könnte bedeuten, dass der Zuschuss aus der Sozialhilfe künftig mehr werden muss, dass Bremen also mehr Geld für seine SozialhilfeempfängerInnen ausgeben muss.

„Die nominelle Kaltmiete im sozialen Wohnungsbau des 1. Förderwegs ist gar nicht so hoch“, erklärt der Bremer Sozialwissenschaftler Volker Busch-Geertsema von der Gesellschaft für innovative Sozialforschung und Sozialplanung, „aber die so genannten kalten Nebenkosten wie Kosten für den Aufzug oder den Hausmeister sind relativ hoch.“ Dadurch komme es zu vergleichsweise teuren Kaltmieten. Busch-Geertsema: „Das war bisher kein Problem, weil der Bund diese Kosten über das pauschalierte Wohngeld mitfinanziert hat.“

Künftig also soll der Mitarbeiter in der Sozialbehörde von Fall zu Fall entscheiden, ob Mietkosten, die früher grundsätzlich als angemessen galten, es in Zukunft auch noch sind.

Was Politik und Verwaltung für eine Verbesserung hält – schließlich wird das Wohngeld um rund 30 Prozent erhöht – das sehen KritikerInnen mit unterschiedlichen Befürchtungen. Die Wohngelderhöhung (letzte Fassung: 1990) sei überfällig und längst nicht genug, findet Thomas Beninde von der Agab und zitiert Berechnungen des Deutschen Mieterschutzbundes, nachdem die Mieten in den vergangenen zehn Jahren de facto um 36 Prozent gestiegen seien. Dass SozialhilfeempfängerInnen beim Verbleib in ihrem Zuhause künftig „mehr oder minder vom Ermessen des Sachbearbeiters abhängig“ sind, ist für Beninde das nächste rote Tuch. Im Sozialressort kann man noch nicht beziffern, um wie viele Fälle es geht. Beninde fürchtet: „Das wird nicht nur ein oder zwei Haushalte treffen.“

Die grüne Bürgerschaftsabgeordnete Karoline Linnert schimpft: „Der teure soziale Wohnungsbau soll für Arme sein. Für die Allerärmsten gibt es nichts mehr. Besten Dank.“ Und außerdem: „So werden Bemühungen konterkariert, solche Stadtteile wie Tenever wieder in Gang zu setzen.“

Ähnlich argumentiert Volker Busch-Geertsema. Er verweist auf Debatten über das Problem der Konzentration sozial Benachteiligter und sieht in der neuen Regelung einen „Hebel, Sozialhilfebezieher aus den Wohnungen rauszukriegen“. Und angesichts der öffentlichen Subventionierung des sozialen Wohnungsbaus sagt er: „Es ist nicht einzusehen, dass mit massivem Einsatz Wohnraum gefördert wird, der dann von Sozialhilfeempfängern nicht mehr bezahlbar ist.“

Noch also weiß offenbar niemand genau, welche Auswirkungen die Verwaltungsanweisung haben wird. Nur, dass sie wirkungslos bleibt, das glaubt niemand. Die Grüne Karoline Linnert erwägt, in der Bürgerschaft eine Anfrage einzubringen. Agab-Mann Thomas Beninde klingt schon fast resigniert, wenn er spekulieren soll, was werden wird: „In Bremen gibt es noch etwa 1.500 oder 2.500 Wohnungen mit Kohleöfen. Die sind für SozialhilfeempfängerInnen dann vielleicht billig genug.“

Susanne Gieffers