in fußballland
: CHRISTOPH BIERMANN über den Moment des Jahres

Die Tränen des Batigól

Diese Geschichte spielt in der Dunkelheit, denn dort können die Sterne umso heller leuchten. Sie wird in Tränen enden, die uns Trost versprechen.

Vor neun Jahren kam Gabriel Omar Batistuta mit seiner Frau Irina und zwei Koffern nach Florenz. Er war im nordargentinischen Örtchen Avellaneda aufgewachsen und hatte Arzt werden wollen. Doch der Junge mit dem Namen des Erzengels spielte gerne Basketball und besonders gut Fußball. Eines Tages kam ein schwarzer Wagen auf der Straße vorgefahren, wo die Batistutas lebten. Ein Mann aus Buenos Aires stieg aus und sagte, dass er den 18 Jahre alten Gabriel mitnehmen und zu einem Fußballspieler machen würde. Der Vater willigte ein, Gabriel tat es auch und begann in einem der großen Klubs der Hauptstadt Fußball zu lernen. Denn vorher hatte er nie in einer richtigen Mannschaft gespielt. Bald schon lag ihm das Publikum zu Füßen, weil er unablässig Tore schoss. So wechselte er zu River Plate und dann zu den Boca Juniors.

Schließlich holte ihn der AC Florenz. Dort hatte Gabriel schon einmal auf der Tribüne gesessen, als er mit den Junioren seines Landes in Italien war, und die Begeisterung der Tifosi bestaunt. So glanzvoll sein Aufstieg schien, war es doch nicht leicht für ihn. Fern der Heimat im kalten Europa tat er sich schwer. Seine neuen Mannschaftskameraden schnitten ihn, doch Irina stand ihm bei. Die Frau seines Lebens, die er liebte, seit er 16 Jahre alt war und sein Herz an das Mädchen aus der Nachbarschaft verloren hatte. Neben Irina half ihm die Curva Fiesole, wo die echten Fans der Fiorentina ihren Platz haben, und er zahlte ihnen das Vertrauen in Toren zurück. In neun langen Jahren erzielte er mehr Treffer als je ein Ausländer in der Serie A zuvor. Die Anhänger in den Farben des Veilchens nannten ihn Batigól und riefen, dass er wie David sei. Michelangelos David, dem sie am Computer Gabriels Gesicht gaben.

Er schoss seine Tore in einer Welt der Defensive, in der nur das Ergebnis und nicht die Freude am schönen Spiel zählt. Er traf für einen Klub, der kaum eine Chance auf die Meisterschaft hatte. Seine Kollegen respektierten den Ernst und die Begeisterung, mit denen er seiner Arbeit nachging. Trotz ständiger Schmerzen im Knie. Er blieb voller Demut auch angesichts dekadent überfließender Gehaltszahlungen und seinem Verein neun Spielzeiten lang treu, wo andere haltlos von Scheckbuch zu Scheckbuch eilten.

Doch in diesem Sommer war Gabriel müde geworden. Der mächtige Potentat der Fiorentina mochte seinen Anregungen zur Verbesserung des Klubs nicht folgen, und Batigól wollte endlich einen Titel gewinnen. Also gab Gabriel seinen Wechsel zum AS Rom bekannt. Er wandte sich an seine Fans und erklärte die Trennung, wie ein Vater den Kindern, dass er die Mutter verlassen wird. „Es ist das Ende einer Liebesgeschichte“, schrieb Gabriel. Er unterzeichnete den offenen Brief, als wäre es die Inschrift eines Tattoos: „Für immer Viola-Fan.“

Vor der ersten Begegnung seines neuen mit seinem alten Klub kündigte er an, einen Treffer nicht bejubeln zu wollen. Doch es sollte noch anders kommen am Abend des Spiels, vor dem ihm beide Lager der Fans stürmisch applaudierten. Gabriel Batistuta schoss ein Tor. Aus 25 Metern, die Entscheidung des Spiels. Und er jubelte wirklich nicht. Er brach in Tränen aus. „Ich wusste, wie enttäuscht die Fans nach Florenz zurückreisen würden“, sagte er hinterher.

In diesem wunderbaren Moment, dem wunderbarsten dieses Fußballjahres, kam für einen Augenblick alles an seinen Platz. Licht war in die Dunkelheit gefallen, Raffgier und Zynismus zerschmettert. Und das entheiligte Spiel für diesen Augenblick wieder ganz rein.

Als er Florenz verließ, hatte Gabriel Batistuta geschrieben: „Ich möchte, dass die Leute mich nicht nur wegen meiner Tore, sondern als Menschen in Erinnerung behalten.“ Als er zum ersten Mal auf seinen alten Klub traf, hat er das eingelöst. Durch die Trauer über ein Tor, das er geschossen hat.

Autorenhinweis:Christoph Biermann, 40, liebt Fußball und schreibt darüber