Hildchen aus Ladyland°

Hildegard Knef lebt mehr krank als gesund in Berlin und lässt sich zum 75. Geburtstag feiern.Nicht ohne Grund: Sie war die erste Dame des weltläufigen und liberalen Nachkriegsdeutschland

von JAN FEDDERSEN

Vor allem erzählt sie gern die eine Anekdote. Einer ihrer ersten Lehrer, der Theatermann Boleslaw Barlog, habe ihr mal nach der Schauspielprüfung gesagt: „Sie stinken vor Talent.“ Nein, wenn die Knef diese feine Fußnote aus ihrem Leben erzählt, klingt das nicht einmal aufschneiderisch.

Eher klingt in diesem Satz das eigene Erstaunen darüber nach, dass da eine Koryphäe ihr zutraute, etwas im Rampenlicht aus sich zu machen. Obwohl sie so gar nicht feine Dame war, als Tochter eines Prokuristen aus dem badischen Ulm stammte, und ihre Kinder- und Jugendjahre in Berlin verbracht hatte.

Der Prinzipal sollte Recht behalten. Hildegard Knef hat es als eine der wenigen Deutschen auch in Amerika geschafft. Hat am Broadway im Musical „Silkstockings“ gespielt, mit den Jazzgrößen ihrer Zeit in Harlemer Clubs über die Sperrstunden hinaus getrunken – wobei die Knef heute noch das Wort Jazz mondän und elegant wie Dschääääss ausspricht. Und hat Filme gedreht, ein gutes halbes hundert.

Barbusig bekannt

Kurzum: Das deutsche Publikum, dem sie Anfang der Fünfzigerjahre das Objekt eines schönen, heute unverständlichen Skandals war, weil sie sich in dem Film „Die Sünderin“ für Sekundenbruchteile barbusig zeigte, kannte sie vorwiegend aus der Regenbogenpresse.

Die Fotos, die sie zeigen, belegen, dass sie für deutsche Verhältnisse eine ungewöhnliche Schönheit aufwies, die keineswegs makellos war. Aber ihr Gesicht, ihre Augen, ihr Mund und ihre Nase wichen so deutlich von der äußeren Ehrpusseligkeit einer Ruth Leuwerick oder einer Sonja Ziemann ab, dass die Knef wirklich einzig war.

Heute lässt sich sagen, ohne unfreundlich zu sein, dass sie in nur wenigen großen Film mitgespielt hat, pure Cineasten haben sie kaum auf der Rechnung. Natürlich war da Wolfgang Staudtes „Die Mörder sind unter uns“ gleich nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Und auch „Entscheidung vor Morgengrauen“ (1953), „Landru“ (1962) oder „Nachts auf den Straßen“ (1951) machen in der Erinnerung Eindruck, weil eben die Knef in ihnen mitgespielt hat.

Was sie aber schon früh zur Ikone der westdeutschen Geschichte gemache, war ihre Gabe, sich selbst zu inszenieren. Bereits in den fünfziger Jahren eng mit Stern-Herausgeber Henri Nannen befreundet, war es später gerade diese erfolgreichste Illustrierte der sozialliberalen Ära, die ihr ein Forum bot. Hildchen allzeit mit einem Bouquet Rosen in der Hand. Doch in ihrer Hand wirkten sie nicht wie Gaben eines Liebhabers, vielmehr wie Trophäen für ihre Arbeit in Sachen Selbstbestimmung.

Eine elegante Erscheinung, eine Lady, keine feine Dame. Eine deutliche, ganz unmädchenhafte Stimme, die schon vom Timbre her zu signalisieren schien, sich nicht die Butter vom Brot nehmen zu lassen: eine emanzipierte Frau, bevor es für selbstständige Frauen diesen Namen gab. Die Medien zeigten sie niemals als treu ergebene Gattin an der Seite ihres Mannes – Hildegard Knef war ein Signum schlechthin.

Damals begann sie Lieder zu schreiben: „Von nun an ging’s bergab“, „Eins und eins das macht zwei“, „Ich brauch Tapetenwechsel“ oder „Aber schön war es doch“. Chansons mehr als Schlager, obwohl es durchschlagende Hits waren, Zeugnisse einer deutschen Liedproduktion jenseits der „Popacatepetl-Twist“-Maschen. Hildegard Knef avancierte damals zur gefragten Songautorin, wagte sich obendrein an die Vertonung von Tucholsky und Brecht. Zeigte sich gar als talentierte Entertainerin, obwohl Ella Fitzgerald, die nun wirklich etwas von Stimme und Stimmungen versteht, respektvoll sagte, die Knef sei die beste Sängerin ohne Stimme.

Am Hof von Willy Brandt

Ihren Zenit erreichte die Berlinerin („Berlin, ich liebe deine Sommersprossen“) Anfang der Siebzigerjahre. Gern gesehener Gast am Hofe von Kanzler Willy Brandt. Sie strahlte Intelligenz aus und war sich doch nicht zu schade, wenn man sie zur Krönung eines Programms einlud oder wenn Illustrierte mit ihrem Konterfei Auflage machten. Schließlich bewies Hildegard Knef mit dem Buch „Der geschenkte Gaul“ auch Talent als Schriftstellerin – wo sonst fanden sich so bündig erzählte Erinnerungen an die letzten Jahre des Dritten Reiches, an das Wirtschaftswunder und die aufbrüchigen Sechziger?

In ihrem dritten Buch mit dem Titel „Das Urteil“ klärte sie die Nation über ihre Brustkrebserkrankung auf. Selbst wenn viele der reißerischen Schlagzeilen – „Die Knef – brustlos aber tapfer“, „Unser Hildchen ganz tapfer“, „Knef dem Tod von der Schaufel gesprungen“ – nur grell die Gesetze der Medien pointierten, so stimmte doch, dass die Kranke nach Jahren der Behandlungen diese tödliche Krankheit überwand.

Das war freilich ein Moment, an dem sie die Nation zu nerven begann: Der Preis für allzu starke Präsenz in den großen Illustrierten, im Fernsehen, im Bewusstsein der Menschen. Immer wieder Krebs, immer wieder am Rande des Lebens, immer wieder der Kummer mit ihrer Tochter Tinta (die heute als Tierpflegerin in Kalifornien arbeitet), steter Ärger mit dem Geld, weil sie gut und gern, also vor allem über ihre Verhältnisse lebte. Konzerttourneen mussten wieder abgesagt werden, weil der Kartenvorverkauf schleppender als enttäuschend verlief; Plattenprojekte wurden storniert, weil die Künstlerin nicht rechtzeitig mit den Texten fertig wurde und die Plattenfirmen beim Promokonzept patzten.

Für die Knef waren die Achtziger ein Jahrzehnt, das außer Arbeit nichts bot. Längst hatten andere Frauen die Funktion von Vorbildern eingenommen. Erst in den späten Neunzigern wurde ihr wieder alle Ehre zuteil, als der junge Jazzmusiker Till Brönner sie einlud, mit ihm eine CD einzuspielen: die erste mit neuem Material seit 20 Jahren.

Und das war eines der musikalisches Ereignisse des Vorjahres. Das vielleicht schönste Lied wird eine Frage an sich selbst gewesen sein: „Wer war froh, dass es dich gab?“ Auf dem Cover, wie altes Celluloid in Braun gehalten, sieht man sie mit kunstvoll wirr gekämmten Haaren, wie immer die Augen schwarz umrandet, der Mund etwas heruntergezogen, als ob sie skeptisch fragte: Kennt ihr mich noch? Sie zeigt kaum mehr etwas von ihrer kräftigen, gewinnenden, selbstbewussten Stimme, gelegentlich raunt und krächzt sie so sehr, dass es Till Brönner schwerfällt, ihren Gesang mit seiner Trompete zu unterfüttern.

Manches klingt wie ein Requiem, beispielsweise die Neuinterpretation ihres Klassikers „Für mich soll’s rote Rosen regnen“, anderes wiederum wie „Wird Herbst da draußen“ so frisch, als fürchtete sie den Abschied vom Sommer nie. Öffentlich hat sie nur selten Lieder dieser CD gesungen, hin und wieder scheiterte sie gar am lippensynchronen Einsatz zum Vollplayback. Zur Verleihung der Goldenen Kamera für ihr Lebenswerk konnte sie nicht kommen, mal wieder war sie krank. Für Interviews verlangt sie inzwischen Gage: Das sind alles keine guten Zeichen – die Knef droht sich als Frau von Welt, für die Geld nicht zählt, selbst zu dementieren.

Selten früh ins Bett

„Ich bin den weiten Weg gegangen“, hat sie sich als Lied auf einer Platte aus dem Jahre 1976 selbst geschrieben und gesungen. Es hörte sich schon damals an wie eine Beschreibung am Ende eines Lebens: konsequent, hartnäckig, keinen Schwierigkeiten aus dem Weg gehend. Sie hat keine Party ausgelassen, sie kam nur selten früh ins Bett, ihr Leben war wie ein Rausch mit eingestreutem Kummer. Heute wird sie 75 Jahre alt. Das Fernsehen, vor allem in den Dritten Programmen, wird sie mit Portraits würdigen. Das Bundesverdienstkreuz hat sie längst erhalten, das war schon 1974.

Die größte Ehre wird sein, dass man sie in Erinnerung behält. Die meisten ihrer Songs gelten selbst in HipHopkreisen als nobel und lyrisch fein ziseliert. Gäbe es in der Bundesrepublik eine Ruhmeshalle für verdiente Leitkulturträger, müsste sie die Erste sein, die dort Einzug halten sollte: weltläufig und ladylike – das Gegenteil einer verdrucksten deutschen Hausfrau.