Das Buch zum Horror

Werner Wallert schrieb ein beeindruckend ruhiges Tagebuch seiner Entführung

BERLIN/GÖTTINGEN taz ■ Die Geiselnahme von Jolo hat die Göttinger Familie Wallert wider Willen zu Medienstars gemacht. Angenehm ruhig und überhaupt nicht sensationsheischend erzählt der Lehrer Werner Wallert in seinem gerade veröffentlichten Tagebuch („Horror im Tropenparadies“, Goldmann), wie er, seine Frau Renate und der Sohn Marc von der Veranda ihres malaysischen Urlaubsdomizils auf die südphilippinische Insel entführt wurden. Im Geiselcamp steckten ihm Reportern Papier, Stifte und zwei Kameras zu. Mit Erlaubnis der Kidnapper wurde Wallert zum Berichterstatter seiner eigenen Entführung.

Zunächst sah es nach einem Überfall gewöhnlicher Banditen aus. Als ihm eine dreimonatige Entführung vor Augen geführt wurde, reagierte er völlig ungläubig. Wallert beschreibt das Wechselbad der Gefühle, Mühen nächtlicher Märsche, Angst vor Militärangriffen, den Psychoterror alltäglicher Schießereien, das Beglotztwerden durch Einheimische und die Strapazen des Dschungels. Das alles läßt seine Frau zusammenbrechen.

Das Buch ist eine Mischung aus persönlichen Gefühlen, geografischen Fakten und differenzierten politischen Hintergründen. Wallert kritisiert die philippinische Regierung und Armee, die die Geiseln mehrfach gefährdet hätten. Nur das Unvermögen der Armee habe ihr Leben gerettet.

Erstaunlich gut kommen die Medien weg. Die Präsenz zahlreicher Reporter sei zwar manchmal anstrengend gewesen, aber ein wichtiger Kommunikations- und Versorgungskanal mit der Außenwelt: „Wir sind dankbar für den öffentlichen Druck, der so entsteht.“ Dass ihm später vorgeworfen wurde, zu sehr in die Medien zu drängen, habe ihn allerdings sehr geärgert, sagte Wallert kürzlich. „Schließlich wollen wir raus aus den Medien, nicht rein.“ Daher habe er sich jetzt „Medienabstinenz“ verordnet. „Aber das wird dann natürlich auch kritisiert.“

Das Schreiben des Tagebuchs sei für ihn ein „wesentlicher Bestandteil der persönlichen Problembewältigung“, schreibt Wallert. „Die Behauptung, dass wir unsere Geschichte zu Geld machen, hat mich sehr getroffen“, sagte Wallert kürzlich einem taz-Mitarbeiter. „Die Einnahmen aus dem Buch habe ich Unicef in Aussicht gestellt.“ Da seine Familie mit Rückforderungen der Bundesregierung unter anderem für Flugkosten rechne, habe sie die Honorare aus Veröffentlichungen im Stern und für den Auftritt in der Johannes-B.-Kerner-Show dafür zurückgelegt. Dass andere Exgeiseln angeblich einen Anteil an den Einnahmen verlangten, habe er nur aus der Bild-Zeitung erfahren. „Mir gegenüber hat niemand Forderungen erhoben“, sagte Wallert. Mit seinen ehemaligen Leidensgenossen habe er Kontakt per E-Mail. Im Januar sei ein Treffen mit den südafrikanischen Ex-geiseln geplant. Seine Familie habe rund tausend Briefe bekommen, davon seien zehn Prozent „fiese Briefe“ gewesen, in denen zum Beispiel seine Frau als Simulantin beschimpft worden sei. SVEN HANSEN

MALTE KREUTZFELDT