Nach Aktenlage nicht das Schlimmste

■ Ein Historiker erforscht das Kapitel Zwangsarbeit bei der swb AG, vormals Bremer Stadtwerke / Ein Zwischenbericht liegt jetzt vor / Knapp 550 Menschen mussten hier zwangsweise schuften

„Der hier unterzeichnende Eduard Lukasik (...), war während des Krieges in den oben genannten Stadtwerken tätig. 1960 schrieb ich an die Bremer Stadtwerke, da ich in den Bremer Stadtwerke vom 28. Juni 1941 bis 9. Juli 1945 arbeitete.“ Eduard Lukasik ist einer von 534 Fremd- und Zwangsarbeitern, die während des Krieges bei den Stadtwerken gearbeitet haben; in Gaswerken, beim Kabellegen und bei der Behebung von Kriegsschäden. Aus Warschau schreibt er 1965 erneut an die Stadtwerke, um eine korrekte Arbeitsbescheinigung zu bekommen – für sich und für seinen „Arbeitskameraden, welcher mit mir die vier Jahre in Bremen in derselben Firma gearbeitet hat“.

Vierzehn Tage später bekommt er seine Arbeitsbescheinigung von der Personalstelle der Stadtwerke.

Die swb, vormals Stadtwerke, ist eines der wenigen mittelständischen Unternehmen der Bundesrepublik, das noch einen kompletten Satz Personalunterlagen über die im zweiten Weltkrieg beschäftigten Fremd- und Zwangsarbeiter im Keller hat. Und es ist wohl eines der wenigen Unternehmen, das den Mut hat, einen zu Historiker beschäftigen, um dieses Kapitel Unternehmensgeschichte zu durchleuchten.

Marcus Meyer, per Werkvertrag bei der swb angestellt, sichtet seit Oktober die Unterlagen, „aber auf den Akten steht natürlich nur die Registriernummer, das Eintrittsdatum, der Familienstand und so weiter.“ Schreckensmeldungen – so es sie gäbe – würde man in den Papierstapeln vergeblich suchen. Ein differenziertes Bild der Verhältnisse, unter denen die Zwangsarbeiter in den Lagern gelebt, auf den Baustellen gearbeitet haben ergibt sich für den Geschichtswissenschaftler erst nach intensiver Recherche.

Einiges weiß man ganz allgemein, zum Beispiel, dass Zwangsarbeiter keine öffentlichen Einrichtungen betreten durften, polnischen Arbeitern war es verboten, gemeinsam mit Deutschen an Gottesdiensten teilzunehmen.

Für viele Bremer Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene gipfelten diese Rechtlosigkeiten in Elend, Hunger und Tod. Zu schweigen von denen, die von den Nazis vorsätzlich im Programm „Vernichtung durch Arbeit“ ums Leben gebracht wurden – der Bunkerbau in Bremen Farge erreichte dadurch truarige Berühmtheit. Nach Aktenlage scheint die Arbeit bei den Stadtwerken nicht das schlimmste Los gewesen zu sein. Niemand wurde „zu Tode behandelt“, auch KZ-Häftlinge sind dort nach den jetzigen Erkenntnissen nicht zur Arbeit gezwungen worden. Da in den Akten nur das Eintrittsdatum vermerkt ist, könnten manche französischen „Fremdarbeiter“ nach Erfüllung eines regulären Arbeitsvertrags zurück nach Frankreich gegangen sein. „Bei allen, die nach 1942 eingetreten sind, ist das aber unwahrscheinlich“, sagt Historiker Meyer, und mit Sicherheit unfreiwillig arbeiteten diejenigen, die aus dem Osten geholt wurden: Polen, Russen, Ukrainer. Allein 109 Zwangsarbeiter stammten aus der Sowjet-union.

„Die wurden auch zum Teil erheblich schlechter behandelt“, weiß Meyer, „obwohl es da immer so einen Streit gab zwischen den Technokraten und den Ideologen bei der NSDAP.“ Die Technokraten wussten, dass das deutsche Reich die Zwangsarbeiter brauchte, um die Wirtschaft im Krieg aufrecht zu erhalten, die Ideologen wollten die „Untermenschen“ aus dem Osten auch entsprechend behandelt wissen. Formell haben die Zwangsarbeiter oft den gleichen Lohn wie die deutschen Arbeiter bekommen, mussten dann aber so genannte Sonderabgaben zahlen.

Mit den Lagern der Stadtwerke in der Findorffstraße, in Sebaldsbrück und Woltmershausen, den Bedingungen, die dort herrschten, hat sich der Historiker bis dato noch nicht ausführlich beschäftigt. Er hofft, durch Zeitzeugen Näheres zu erfahren. So erinnerte sich die Schwiegertochter des damaligen Personaldirektors anlässlich der Veröffentlichung des Forschungsprojekts in der Betriebszeitung der swb daran, dass ihr Schwiegervater des Öfteren einen von sechs zur Zwangsarbeit verpflichteten Chinesen mit nach Hause brachte – die beiden haben sich offenbar gut verstanden.

Aber auch den Seniorenkreis der Stadtwerke-Pensionäre will der gerade fertig studierte Geschichtswissenschaftler noch befragen.

Fürs Erste dauert sein Werkvertrag bis Ende März, dann will Marcus Meyer dem Vorstand die Ergebnisse präsentieren. „Falls noch spektakuläre Dinge gefunden werden, verlängern wir den Werkvertrag natürlich“, versichert Marlene Odenbach, bei der swb für Öffentlichkeitsarbeit zuständig.

Für sie ist es „völlig normal“, dass Firmen sich um die Aufhellung dieses Teils der Firmengeschichte bemühen. Als sich beim ersten Sichten der Akten herausstellte, dass die Stadtwerke tatsächlich Zwangsarbeiter beschäftigt haben – was allerdings auch schon aus einer Gestapo-Liste von 1941 hervorgeht – stockte das Unternehmen den bereits geleisteten Beitrag für die Entschädigungsstiftung sofort auf das gewünschte eine Prozent des Umsatzes auf.

Die Daten aus den Personalakten, die jetzt von Meyer erfasst werden, werden die Stadtwerke dem Staatsarchiv in Bremen zur Verfügung stellen. Dort fragen jährlich über 100 ehemalige Zwangsarbeiter in der Hoffnung auf Entschädigung nach Arbeitsnachweisen und Firmenadressen.

Einer davon war Paul Marcy, französischer Kriegsgefangener, der schon im Staatsarchiv zu Besuch war, um Vorträge zu halten und Gespräche zu führen. Er hat einen Teil seiner erzwungen Arbeitsleistung für die Stadtwerke erbracht.

Einen Brief an ihn, der aus erster Hand Auskunft über die Kriegsarbeit bei den Stadtwerken geben kann, lässt Marcus Meyer gerade ins Französische übersetzen.

Elke Heyduck