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Die Zukunft kommt gewaltig

Beim Handball-Bundesligisten SC Magdeburg, durch das 22:24 in Flensburg auf Platz 5 gefallen, setzt man nicht nur auf ausländische Stars, sondern vor allem auf eigenen Nachwuchs

Egal wo man hinhört beim zehnfachen DDR-Meister: Es geht um den Nachwuchs.

aus Magdeburg THOMAS BECKER

Im Spitzenspiel der Bundesliga blieb die Zukunft weit gehend draußen vor. Bei der 22:24-Niederlage des SC Magdeburg bei Spitzenreiter SG Flensburg-Handewitt bestimmten die erfahreneren Akteure das Bild beim Team aus Sachsen-Anhalt. Der russische Spielmacher Oleg Kuleschow (26) nahm den anfangs überragenden Dänen Jeppesen in Manndeckung, der Isländer Olafur Stefansson (27) mit fünf Toren sowie der Russe Wassili Kudinow (31) und Uwe Mäuer (29) mit je vier Treffern sorgten für Angriffsschwung, während Stefan Kretzschmar (27) an Flensburgs Torhüter Jan Holpert verzweifelte und nur ein Tor zustande brachte. Am Ende reichte es nicht, Magdeburg fiel in der Tabelle auf Rang fünf zurück.

Einige Tage zuvor, im Heimspiel gegen die SG Wallau-Massenheim (23:23), hatte es noch etwas anders ausgesehen. Da standen immerhin elf Minuten lang die Magdeburger Bennet Wiegert (18) und Maik Machulla (23) gemeinsam auf dem Platz. Zwei deutsche Nachwuchsspieler in der Anfangsformation beim Spiel Zweiter gegen Dritter der Handball-Bundesliga – ein seltenes Bild. Im weiteren Verlauf übernahm dann auch hier die Gegenwart in Gestalt von Kuleschow und Sven Liesegang (31) wieder die Regie. 19 der 23 Magdeburger Tore gegen Wallau warfen die Spieler aus Russland, Frankreich und Island – noch.

Der Nachwuchs des SC Magdeburg kommt – langsam, aber gewaltig. Bei deutschen Jugendmeisterschaften scheint der Klub seit Jahren ein Abonnement zu besitzen. Ein „Abfallprodukt“ nennt Ingolf Wiegert die imposante Titelsammlung. Wiegert ist in Magdeburg der Mann an der Schnittstelle zwischen den Zeiten, zwischen Vergangenheit und Zukunft. Der hagere, jungenhaft wirkende Mann war einst als Kreisläufer Teil des Handballwunders DDR. 225-mal im Nationalkader, Weltauswahl – eine Karriere der Marke DDR-Spitzenförderung. Heute trägt er Anzug statt kurzer Hose und erklärt dem Fernsehmoderator, warum die Jungen da unten auf dem Feld noch ein bisschen Zeit brauchen. Ingolf Wiegert ist Projektleiter des Nike-Juniorcamps und Lehrer am Magdeburger Sportgymnasium. Vier Stunden Unterricht hat Sohn Bennet beim Vater: allgemeine Ausbildung, Bewegung, Koordination und Technik. Für ihn ist das nicht einfach, meint der Papa, ich bin sehr kritisch.

Es hat Wiegert junior nicht geschadet. Ebenso wenig wie den drei anderen 18-, 19-Jährigen, die ebenfalls das Sportgymnasium besuchen und zum Bundesligakader des SC Magdeburg gehören. Per Doppelspielberechtigung dürfen sie sowohl in der ersten wie in der zweiten Mannschaft antreten. Im Regionalligateam des SCM, das vom Co-Trainer der Bundesligamannschaft mittrainiert wird, ist keiner älter als 21; die Truppe steht vor dem Aufstieg in die zweite Liga. Doch dort wird sie nicht spielen. Die sollen nicht aufsteigen, sagt Bernd-Uwe Hildebrandt, der Manager, da kann ich die Ausbildung nicht mehr garantieren.

Egal wo man hinhört beim zehnfachen DDR-Meister: Es geht immer um den Nachwuchs. Ständig wird Geld gesammelt, werden Schecks überreicht. Und wer sich mit Ingolf Wiegert über die Jugendarbeit unterhält, bringt nach einer Weile alles durcheinander: Juniorcamp, Jugendteam, Nachwuchsturnier, Sportinternat, Haus der Athleten, Olympiastützpunkt. Andere Klubs sind froh, wenn sie mit wenigstens einer Pro-forma-Veranstaltung ihren Willen für Nachwuchsförderung bezeugen.

Wiegerts Arbeit beginnt ganz unten: Zehn Jahre und jünger sind die Teilnehmer seines Juniorcamps. Heranführen an die Sportart Handball heißt das Ziel, dem in neun Stützpunkten im Umkreis von 100 Kilometern nachgegangen wird. Vereinszugehörigkeit ist nicht nötig; dennoch besucht man die Bundesligaspiele des SCM, und ab und zu kommt auch einer der Profis ins Training. 300 Kinder haben in den vergangenen drei Jahren an dem zwei Jahre dauernden Camp teilgenommen. Wer dabei bleiben will, bewirbt sich am Sportgymnasium oder der Sportrealschule in der Friedrich-Ebert-Straße, gleich neben der Bördeland-Halle, wo der SCM seit drei Jahren seine Heimspiele austrägt, zuletzt immer häufiger vor mehr als 7.000 Zuschauern. Wie ein Raumschiff aus einer anderen Welt wirkt der 50 Millionen Mark teure Neubau neben dem maroden Fußballstadion des 1. FC Magdeburg, das wie das Vereinsgelände des SCM den Abbruchcharme der Fünfzigerjahre versprüht, als der Klub gegründet wurde.

Den Mief vergangener Jahre hat man am Sportgymnasium abgelegt. Die Lernziele und -inhalte sind ganz andere als zu seiner Zeit, erzählt Wiegert senior. Man legt viel Wert auf die wissenschaftliche Vorgehensweise. 700 Schüler gilt es zu betreuen: Ruderer, Schwimmer, Leichtathleten, Kanuten, Turner und Handballer. Etwa die Hälfte entwickelt sich Richtung Leistungssport, die Übrigen werden Trainer oder Übungsleiter. Man fährt gemeinsam zum Skilaufen oder zum Segeln – die sollen alles ein bisschen können, sagt Hildebrandt.

Vor allem aber gut Handballspielen. So gut, dass sich der Manager bald nicht mehr den Kopf zerbrechen muss, wie und von welchem Geld er den kränkelnden Wassili Kudinow, 189facher russischer Nationalspieler, im linken Rückraum ersetzen soll. So gut, dass Trainer Alfred Gislason sagt: Nehmen wir doch den Jungen aus der zweiten Mannschaft, den Wiegert.

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