Doppelpass macht Regierung nass

Die Zahl der Einbürgerungen bleibt trotz neuem Staatsbürgerschaftsrecht hinter den Erwartungen zurück. Den Doppelpass für Kinder gibt es nur noch bis zum 31. 12. Die Bundesregierung will die Ausnahmeregelung verlängern – die Union sperrt sich

von LUKAS WALLRAFF

Die Fans des VfL Bochum sind zu beneiden. An trüben Tagen legen sie einfach eine alte Scheibe auf. „Mit deinem Doppelpass“, singt ihnen Herbert Grönemeyer dann fröhlich Mut an, „machst du jeden Gegner nass.“ Da vergessen sie, dass der VfL Tabellenletzter ist. Rot-grüne Politiker tun sich nicht so leicht. Denn von ihrem alten Wahlkampfschlager, dem „Doppelpass für Einwanderer“, ist wenig übrig geblieben.

Ein Jahr nach Einführung des neuen Staatsbürgerschaftsrechts gibt es noch keine offizielle Statistik, aber einen klaren Trend: Die Zahl der Einbürgerungen bleibt weit hinter den Erwartungen zurück. „Man könnte fast zu dem Ergebnis kommen“, klagt die Geschäftsführerin des Bundesausländerbeirats, Ulrike Okenwa, „das Ganze ist ein Flop“.

So drastisch würde es Marieluise Beck nie formulieren. Aber selbst die grüne Ausländerbeauftragte der Bundesregierung will nur eine „vorsichtig positive“ Bilanz des ersten Jahres ziehen.

Vor Inkrafttreten des neuen Rechts am 1. Januar 2000 hatte Beck noch „eine Million neue Staatsbürger“ angekündigt. Inzwischen schraubt sie die Erwartungen zurück. „Sicher haben nicht alle von ihren Möglichkeiten Gebrauch gemacht“, heißt es auch im Innenministerium.

Prompt melden sich schadenfroh die zu Wort, die schon immer gegen das neue Recht waren: „Der große Renner scheint’s nicht zu sein“, sagt etwa der Sprecher des bayerischen Innenministers Günther Beckstein (CSU). Seinen Schätzungen zufolge beantragten „zwischen 20.000 und 30.000“ der bayerischen Ausländer einen deutschen Pass – im Vorjahr waren es 15.000. In Nordrhein-Westfalen lag die Zuwachsrate im ersten Halbjahr nur bei 20 Prozent. Bundesweit hat wohl gerade mal jeder Zehnte der fast vier Millionen berechtigten Ausländer einen Antrag gestellt. Das wären nicht allzu viel mehr als die 143.300 Neubürger 1999 – vor der Reform.

Für Ulrike Okenwa vom Ausländerbeirat ist der entscheidende Grund für die Zurückhaltung der Zwang für Erwachsene, die ursprüngliche Staatsangehörigkeit aufgeben zu müssen. Dazu kämen bürokratische Hürden, hohe Gebühren und mangelnde Aufklärung. Das „Hauptproblem“ sei aber, dass Rot-Grün nach der verlorenen Hessenwahl auf den „Doppelpass“ für Erwachsene verzichtete: „Da ist die Bundesregierung nicht standhaft geblieben.“ Eine Entscheidung, die auch der grüne Migrationsexperte Cem Özdemir mittlerweile offen bereut.

Noch mehr schmerzt die Regierung aber, dass nicht einmal der kleine Rest vom „Doppelpass“ Erfolg hat, der beim Kompromiss gerettet wurde. Neben den ausländischen Kindern, die seit dem 1. Januar geboren werden, haben auch Kinder unter zehn Jahren Anspruch auf die doppelte Staatsbürgerschaft, wenn ein Elternteil lange genug hier gelebt hat. Dieser Anspruch gilt jedoch nur noch bis übermorgen. Die Ausnahmeregelung läuft aus – und alle Schätzungen deuten darauf hin, dass höchstens zehn Prozent der Kinder unter zehn eingebürgert wurden.

Innenminister Schily will die Ausnahmeregelung verlängern und auf die Gebühren von 500 Mark pro Kind verzichten. Doch eine Mehrheit im Bundesrat ist nicht in Sicht. Dass sich die unionsregierten Länder sperren, sei „bedauerlicherweise zutreffend“, so Schilys Sprecherin.

SPD-Innenpolitiker Dieter Wiefelspütz ist dennoch zuversichtlich, schließlich handle es sich bei den Gebühren um eine „volkswirtschaftlich überschaubare Größe“. Und die Ausnahmeregelung könne auch rückwirkend verlängert werden. Wiefelspütz hofft, dass die FDP ihre Koalitionspartner in Hessen oder Baden-Württemberg überredet: „Das hat mir der Guido Westerwelle versprochen.“ Doch selbst wenn es zu einer Einigung kommt: An den überschaubaren Einbürgerungszahlen für 2000 wird sich nichts mehr ändern.