Kongo stirbt den stillen Tod

Millionen Menschen haben dieses Jahr durch den Krieg in der Demokratischen Republik Kongo ihre Heimat verloren oder sind an den Folgen von Seuchen, Hunger und Vertreibung gestorben

BERLIN taz ■ Der Krieg in der Demokratischen Republik Kongo entwickelt sich zum größten humanitären Desaster der Welt. Die Zahl der Kriegsvertriebenen, von der UNO zuletzt im September auf 1,8 Millionen geschätzt, dürfte angesichts andauernder Kämpfe inzwischen die Zweimillionenmarke überschritten haben. Vor einem Jahr lag die Zahl noch bei unter einer Million. Weniger als ein Fünftel der Vertriebenen ist für Hilfsorganisationen erreichbar. Hunderttausende von Menschen leben ohne Unterstützung oder Möglichkeit zur Selbstversorgung als Flüchtlinge im Regenwald und sterben einen stillen Tod.

Bereits im Frühjahr schätzte eine private US-amerikanische Organisation auf Grund detaillierter Befragungen Betroffener, dass im Osten des Kongo 1,7 Millionen Menschen – ein Zwölftel der Bevölkerung dieses Landesteils – an den Folgen von Seuchen, Hunger und Vertreibung gestorben seien. Das sind Todesraten, die denen der düstersten Episoden des Zweiten Weltkriegs gleichkommen. Nirgendwo sonst auf der Welt fallen heute so viele Menschen in so kurzer Zeit den Folgen eines bewaffneten Konflikts zum Opfer.

Man könnte meinen, dass eine solche Situation eine weltweite Welle der Solidarität hervorrufen würde. Dies ist nicht der Fall. Die internationalen Hilfsbemühungen für den Kongo laufen auf Sparflamme. Vor einem Jahr forderten die UN-Hilfsorganisationen gemeinsam 37 Millionen Dollar für Kongo-Hilfen im Jahr 2000 – sie bekamen weniger als zehn Millionen. Für das kommende Jahr suchen sie nun 139 Millionen Dollar. Sie warten auf Zusagen.

Humanitäre Hilfe im Kongo ist schwierig. Die Regionen des Massensterbens sind Gegenden, wo nominell Rebellenbewegungen herrschen, die gegen Kongos Präsident Laurent Kabila kämpfen. Aber es sind dort auch gut ausgerüstete Milizen aktiv, die gegen diese Rebellen kämpfen. Sie sind im Wald stationiert und versorgen sich durch Überfälle auf die Zivilbevölkerung. In weiten Regionen des Kongo, wo 50 Millionen Menschen auf der siebenfachen Fläche Deutschlands leben, ist die Landwirtschaft komplett zusammengebrochen. Die Menschen haben sich an den wenigen noch übrigen Straßen niedergelassen in der Hoffnung, hier von Milizen verschont zu bleiben oder Hilfsorganisationen aufzufallen.

Das Andauern der Kämpfe macht eine Verbesserung der Lage unwahrscheinlich. Seit 1998 verdoppelt sich die Zahl der Kriegsvertriebenen im Kongo jedes Jahr. Und es bilden sich immer mehr bewaffnete Banden – oft gerade von Vertriebenen, denen keine andere Möglichkeit zum Überleben bleibt.

Angesichts dessen hat sich mancherorts eine paradoxe Situation ergeben: Vertriebene kehren nach Hause zurück, weil sie sicher sind, dass es dort auch nicht mehr schlimmer sein kann als im Ort ihres letzten Exils. Die taz hat sich in der Region Masisi im Osten des Kongo umgesehen, einer der am härtesten umkämpften Landesteile. Vertriebene Tutsi-Flüchtlinge sind dort dabei, ihre Heimat wiederzufinden – ein zerstörtes Land. D.J.

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