Dienstleistung Geschichte

Festanstellungen im Bereich der Geschichtswissenschaft sind rar. Was tun? Zwei Karlsruher Historikerinnen machten sich selbstständig und gründeten ein kommerzielles Geschichtsbüro. Der Spagat zwischen Imagepflege und unabhängiger Forschung gelingt

von ULRIKE BAUREITHEL

In Hinterkitzbühel herrscht Aufregung. In zwei Jahren feiert man tausendjähriges Stadtrecht, und einig ist man sich im Gemeinderat nur, dass das Ereignis ein „Event“ werden soll. Ein mehrwöchiges Programm, stellt sich die Bürgermeisterin vor, Veranstaltungen, eine Ausstellung und als Höhepunkt ein historischer Umzug im Rahmen eines Stadtfestes. Ideen hat man viele, aber vom pensionierten Geschichtslehrer, der ehrenamtlich das Gemeindearchiv betreut, ist allenfalls eine Broschüre zur Stadtgeschichte zu erwarten. Auch von den Historikern der benachbarten Universität verspricht man sich nicht allzu viel. Vielleicht, heißt es dort, könne man einen Doktoranden für das Thema interessieren. Aber ob das Buch dann rechtzeitig fertig wird? Und ob es am Ende nicht doch zu akademisch gerät?

Hilfe fänden die Hinterkitzbüheler in der Karlsruher Hirschstraße. Mitten im historischen Stadtzentrum, im ehemaligen Domizil der Bundesanwaltschaft, residiert seit vergangenem Jahr die Partnerschaft Guttmann + Grau. Barbara Guttmann und Ute Grau bieten eine Dienstleistung an, die gewöhnlich Stadtarchive oder Universitäten erbringen: Geschichtsforschung.

Im Unterschied zu den etablierten Institutionen, die den interessierten Gemeinden, Firmen oder Verbänden am Ende in der Regel ein Buch präsentieren, liefern Guttmann + Grau je nach den Wünschen der Auftraggeber ein Gesamtpaket: Neben der gut recherchierten Stadtgeschichte auch die Ausstellung, eine historische Stadtführung, die Internetpräsentation, den kleinen Werbefilm oder das wissenschaftliche Symposium. Das Team übernimmt auch die Öffentlichkeitsarbeit – das Firmenmotto: „Von der Rercherche über die Präsentation bis zum Rahmenprogramm“.

Geschichte als kommerzielle Dienstleistung? Es hat eine Weile gedauert, bis sich die beiden Historikerinnen das real vorstellen konnten. An der Wiege ihrer Karriere, am Historischen Institut der Universität im idyllischen Karlsruher Schlosspark, wo beide studierten und Guttmann mit einer Studie über Frauen im Ersten Weltkrieg in Baden promovierte, ist ihnen die Selbstständigkeit gewiss nicht gesungen worden. Doch eine akademische Karriere oder eine Festanstellung als Historikerin schien beiden wenig aussichtsreich, und so machten sie aus der Not eine Tugend.

Die Büroidee, erzählen sie, hatten sie schon länger, aber erst während eines vom Land finanzierten gemeinsamen Forschungsprojekts über Frauen in der 1848er Revolution in Baden nahm sie Gestalt an. Bei den „Frauen am Markt“, einer mittlerweile aufgelösten Beratungsstelle für Existenzgründerinnen, fanden sie erste, wie beide betonen, sehr wichtige Unterstützung. Die finanziellen Hürden schienen überwindbar – „schließlich sind wir kein Hightechbetrieb“ –, und nachdem ein Büro gefunden und rechtliche Fragen geklärt waren, ging die Partnerschaft Anfang 1999 an den Start.

Der Wunsch, nicht nur die eigene Existenz zu sichern, sondern auch „vom Platz hinter dem heimischen Wäschetrockner wegzukommen“, war der eigentliche Antrieb der Unternehmensgründung. Professionalisierung ist das Schlüsselwort der beiden Vierzigjährigen. „Wir wollten“, so Guttmann, „unseren Auftraggebern signalisieren, dass es eben keine ‚Notlösung‘ ist, dass wir es ernst meinen und uns nicht nur von Auftrag zu Auftrag hangeln.“

Ein weiterer wesentlicher Aspekt ist die Zusammenarbeit mit Leuten aus anderen Bereichen, durch die das Büro sein Angebotsspektrum erweitern kann. „Wir kooperieren nicht nur mit Verlagen, sondern auch mit Grafikerinnen, Ausstellungsmachern oder Filmleuten. Das erlaubt uns vielfältige Präsentationsformen, die wir als gelernte Historikerinnen sonst nicht anbieten könnten.“

Neue Wege der Darstellung von Geschichte zu gehen, empfinden die beiden Historikerinnen als Herausforderung. „Geschichte wird häufig als etwas wahrgenommen, das nur alte Leute interessiert“, so Graus Erfahrung. „Die Kids lesen keine Bücher und gehen nicht ins Rathaus auf eine Gedenkveranstaltung. Aber sie surfen im Internet und sehen fern. Solchen Bedürfnissen muss man entgegenkommen. Ich sage immer, was mich nicht langweilt – und es ist schwer, mich nicht zu langweilen –, langweilt auch andere Leute nicht.“

Ganz so neu ist die Idee, Geschichte zu vermarkten, allerdings nicht. „Sie liegt in der Luft“, wie das Duo einräumt. In Ulm handeln Uwe Schmidt und Christoph Haberer aus Rastatt in der „Agentur für historische Dienstleistungen, Eventmanagement und Public Relation“ mit „Geschichte“. „Historymarketing GmbH“ nennt sich das Büro Willstätt in Offenburg, das sich vor allem auf Unternehmensbiografien, Festschriften und Ähnliches spezialisiert hat; in Frankfurt bietet „Zeitsprung. Kontor für Geschichte“ vergleichbare Leistungen an, in Augsburg hat Tobias Berg einen Online-„Nachrichtendienst für Historiker“ eingerichtet. Und auch weiter entfernt in der Republik, etwa in Münster, Hamburg oder Berlin, tummeln sich Historiker und Historikerinnen als Jungunternehmer mit Expansionsinteresse auf dem Geschichtsmarkt.

Wer auf diesem Feld erfolgreich sein will, das gilt für Guttmann + Grau ebenso wie für ihre KonkurrentInnen inner- und außerhalb des Ländles, muss einen „Namen“ haben und auf Erfahrungen und Referenzen verweisen können. Barbara Guttmann, zunächst Stadthistorikerin im nordbadischen Waghäusel, hat als „Freie“ vor allem Projekte im Bereich Frauengeschichte realisiert. Demnächst wird ihre groß angelegte Studie über Frauen in Karlsruhe in der Nachkriegszeit erscheinen, für die sie zahlreiche Zeitzeuginnen – insbesondere Pionierinnen in der Politik – befragt hat. Ute Grau, die neben ihrem Geschichts- auch ein Physikstudium absolvierte, hat ein landesweites Projekt zur Revolution von 1848/49 betreut.

Diese früheren Verbindungen sind für die Auftragsakquisition wichtig. Für das Stadtarchiv Karlsruhe beispielsweise erarbeitet das Büro momentan die Geschichte der Berufsfeuerwehr. Gleichzeitig pendeln die Historikerinnen regelmäßig nach Albstadt im Schwarzwald, um eine Untersuchung über Frauen in der Region vorzubereiten. Gerade diese lokalgeschichtlichen Untersuchungen, so begrenzt sie vordergründig auch scheinen mögen, halten die Historikerinnen für hochspannend: „Wir wollen die lokale mit der ‚allgemeinen‘ Geschichte verzahnen“, erklärt Guttmann. „Es geht uns auch darum, neue Perspektiven und Fragestellungen zu eröffnen und Wechselwirkungen zwischen Region und großer Politik aufzuzeigen.“ Also, ergänzt Grau, „nicht die hundertste lokale Frauengeschichte, Geschichten über den Ortsbrunnen, wo sich Frauen in der Vergangenheit trafen, sondern auch der Vergleich, der Gemeinsamkeiten erkennt oder Unterschiede erhellt.“

Solche Fahndung und Findung kostet viel Zeit und Geld. Auf die Frage, wie teuer historische Forschung sei, zögern beide. „Sie ist ihr Geld wert“, beteuert Grau und lacht. Für „einen Appel und ein Ei“ sind die beiden nicht zu haben. „Es ist eine Frage des Standpunktes“, erkärt Guttmann. „Wir hatten den Fall einer kleinen Gemeinde, der hunderttausend Mark für ihre Gemeindegeschichte zu viel war; ein kleines Dach über dem Sportplatz ließ sie sich dann allerdings das Vierfache kosten.“

Wer so viel Geld investiert, sollte man denken, will auch auf das Endergebnis Einfluss haben. „Natürlich“, bestätigen beide, „gibt es bestimmte Erwartungen. Die genaue Absprache, welche Art von Produkt es werden soll und für wen, ist absolut notwendig. Sonst gibt es am Ende Ärger.“ Doch gegen inhaltliche Eingriffe hatten sich die beiden Wissenschaftlerinnen noch nicht zu wehren. Dagegen weiß Guttmann aus langjähriger Erfahrung: „So unabhängig sind öffentliche Forschungsstellen nun auch nicht. Im Gegenteil habe ich öfter den Eindruck, dass schon im Vorfeld überlegt wird, was könnte dem auftraggebenden Gemeinderat passen und was nicht.“ Es gibt immer „ausgesprochene und unausgesprochene Zielvorgaben“, bestätigt Grau im Rückblick auf das 1848er-Projekt, „mit denen man sich als Historikerin auseinander setzen muss.“

Dabei kann die Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit – ob es sich nun um eine Stadt, eine Firma, einen Verband oder Verein handelt –, durchaus eine Chance sein, das eigene Profil zu schärfen. Guttmann + Grau haben keine Probleme damit, bei dieser Imagepflege zu helfen, solange sie das wissenschaftlich verantworten können und ihre kritischen Fragen nicht unterdrückt werden.

Dass historische Forschung immer auch etwas mit der Herstellung von Identität – ein Begriff, der Barbara Guttmann nur höchst zögerlich über die Lippen kommt – zu tun hat, wissen beide. „Mir ist es aber lieber“, meint Guttman, „eine regionale Identität, die sich ja auch immer verändert und offen ist, zu rekonstruieren, als etwa an einer ‚nationalen‘ oder gar ‚europäischen‘ zu pusseln.“ Deshalb möchten beide auch grenzüberschreitend arbeiten, in Richtung Frankreich oder der Schweiz, denn „manchmal gehen die Grenzen ja mitten durch die Dörfer“. Am Ende, träumt Ute Grau, könnte ein historischer Freizeitpark stehen, in dem es etwas zu lernen gibt und der trotzdem viel Spaß macht.

ULRIKE BAUREITHEL, 43, lebt als Redakteurin und Publizistin in Berlin