Das Heilige Jahr

„Jubeljahre“ hat schon das Volk Israel gefeiert. Dem Buch Leviticus zufolge war jedes fünfzigste Jahr ein großes Sabbatjahr: als ein Jahr, das „sieben Jahreswochen, siebenmal sieben Jahren“ folgte (Lev 25, 8). Dabei sollte der Erdboden ausruhen. Veräußerte Felder und Häuser kehrten zum ursprünglichen Besitzer zurück. Sklaven wurden freigelassen, zahlungsunfähige Schuldner befreit.

Solche Jahre hatten im auserwählten Volk eine soziale Funktion: Da das Land der Schrift nach Gott gehörte, konnte es nicht endgültig verkauft werden, Grundbesitz sollte sich nicht in wenigen Händen anhäufen. Womöglich kommt das Wort „Jubeljahr“ auch vom hebräischen „Jobel“, dem Widderhorn, das zu solchen Jubiläen geblasen wurde.

Papst Bonifatius VIII. rief das erste christliche Jubeljahr 1300 aus. Er konnte sich dabei auch auf das „Gnadenjahr“ beziehen, das Jesus Christus in der Synagoge von Nazareth ankündigte (Lk 4, 16 – 20). Dante war vom Heiligen Jahr 1300 offenbar so geschockt, dass er Erlebnisse daraus in seiner Göttlichen Komödie für die Beschreibung von Höllenszenen nutzte.

Ursprünglich wurde ein Heiliges Jahr alle hundert Jahre gefeiert, seit 1475 geschieht dies alle 25 Jahre. Bisher gab es 25 Heilige Jahre. Johannes Paul II. hatte schon 1983 zum Jubeljahr erklärt – weil es das 1950. Jahr der Wiederkehr des Todes Christi sei. Andere meinen, der Papst habe nach dem beinahe tödlichen Attentat auf ihn am 13. Mai 1981 nicht geglaubt, das Jubeljahr 2000 zu erleben.

Das jetzige Jubeljahr, das am 24. Dezember 1999 begann und noch eine Woche bis zum 6. Januar 2001 dauert, soll unter anderem dazu dienen, nach eingehender Reue durch Buße, Gebete, Wallfahrten, gute Taten und Geldspenden einen Ablass der zeitlichen Sündenstrafen zu erbitten. Die Protestanten zeigten sich empört: Der Ablasshandel des Heiligen Stuhls war ein wesentlicher Anlass der Reformation.

Das Heilige Jahr wird viel Geld in das Kirchensäckel spülen – wie viel es wird und ob die Einnahmen die Ausgaben übertreffen, das zu sagen sieht sich der Heilige Stuhl jedoch noch nicht in der Lage. Im Vatikan soll man jedoch sowohl mit der Zahl der Pilger (etwa dreißig Millionen) wie mit ihrer religiösen Anteilnahme sehr zufrieden sein. Traditionell kommen zwei Drittel der Romwallfahrer zum Heiligen Jahr aus Italien, nur ein Drittel aus dem Rest der Welt.

Mit dem Motto „Heiliges Jahr 2000 – mehr Italien denn je“ erhoffte sich Italiens Tourismus durch das Jubeljahr Einnahmen in Milliardenhöhe. Rom sollte wieder als „caput mundi“ (Haupt der Welt) erscheinen. Der Petersdom wurde für zehn Millionen Mark restauriert, Milliarden in die Renovierung von Gebäuden und Infrastruktur gesteckt.

Die römische Stadtverwaltung versuchte, die Eröffnung von Sexshops in der Stadtmitte in diesem Jahr zu verhindern. Die Gebühren für Falschparken wurden um fünfhundert Prozent gesteigert – „biblische Strafen“, kritisierten Omnibusunternehmer.

Da Pilger möglichst in allen vier Basiliken Roms gebetet haben sollten, dies aber vielen nicht möglich ist, erließ der Vatikan ein Dekret, wonach auch eine Kapelle auf dem Flughafen von Rom, im Terminal C, für das Heilige Jahr als Ersatz dienen kann. GES