vier aus der zwischenzeit
: Bargäste mit Jahresendschwips erzählen bizarr

Elefantenmelancholie

Der türkische Obsthändler am Rosenthaler Platz hat einen bunten Hut aus Pappe auf dem Kopf. Aber auch ohne diese Hilfestellung merkt man: Dies sind gute Tage. Draußen stört der Schnee das gewohnte Gleichgewicht der Farben. Die Silvester-in Berlin-Touristen geben Geld aus. Die Briefträger rauchen und schwatzen. Und die Betrunkenen helfen sich gegenseitig in die Autos. Aber ein Besuch bei Ikea hat noch jede gute Laune verdorben. Wer das Selbstmörderrestaurant tränenfrei überlebt, den erwischt es in der Supermarktabteilung im Untergeschoss. Mein Begleiter will sich in der Vorhangabteilung umbringen. Irgendwann sehr viel später lautet mein Kaufergebnis: zwei Platzdeckchen à drei Mark.

Zu Hause fällt auch noch das Wiedersehen mit Renate Wallert aus. Weil alles so lange gedauert hat, ist die schöne Sendung „Das war 2000“ schon vorbei. Damit der Abend besser wird, gehe ich in eine heimliche Bar, die sich als Bürowohnung tarnt. Inzwischen stehen dort schicke Plattenspieler in der Ecke und die Stühle sind mit Jeansstoff bezogen. So was nennt sich wohl Distinktionsgewinn.

Viele Gäste sind beschwipst. Sie erzählen bizarre Geschichten von Tannen in elterlichen Wohnzimmern oder Funktelefonen, die man als Fleischgrill benutzen kann. Lehrreich ist jedoch, was eine Freundin nach einer zweitägigen Schulung im Arbeitsamt Lichtenberg zu berichten hat. Bevor es zum ersten Treffen mit dem potentiellen Arbeitgeber geht, sagt das Arbeitsamt, solle man den Pförtner der Firma aushorchen. Außerdem empfehlen die Bewerbungstrainer, sich vor Vorstellungsgesprächen den eigenen Namen, Geburtstag und die Telefonnummer aufzuschreiben. Denn viele Menschen vergessen diese Angaben, wenn sie nervös sind. Und der Job geht an andere. Nach diesen ranschmeißerischen Türöffnern in die Arbeitswelt fühlen sich alle ein bisschen müde.

Die meisten finden, das Jahr 2000 sei irgendwie schief gelaufen. Nicht zuletzt deswegen hat ein Freund schon vor Wochen angekündigt, sein Silvester „mit Menschenrechtlern auf dem Land“ zu feiern.

Heute morgen im Schneematsch sieht jedoch auch Berlin wieder ganz gut aus, denn die Sonne scheint. Aber der kleine Elefant im Zoo ist tot. Die anderen Elefanten bewegen sich deswegen kaum von der Stelle. Einige geben Klagelaute von sich. Gelegentlich sieht es aus, als ob sie weinen.

KIRSTEN KÜPPERS