Couchpotato’s Fernsehjahr

Glotze 2000 – notiert, sortiert und alphabetisch eingemottet von

HARALD KELLER

Aktualität – Das ZDF wollte uns Websoaps als revolutionäre Neuerung verkaufen. Man darf ihnen diese kleine Flunkerei nicht übel nehmen – sie wussten es halt nicht besser.

Bohlen, Dieter – Ließ sich schlagzeilenträchtig beim Teppichklopfen ertappen. Vermutlich hatte RTL 2 durchgeklingelt und um Rekrutierung einer neuen Moderatorin gebeten.

Comedy-Sender – ... nannte sich Sat.1 noch im ersten Halbjahr, gibt sich zuweilen auch als „Star Trek“-Sender aus, warb aber zuletzt mit dem bündigen „Sat.1. Ja.“ Und wird damit zum Ja-Marktssender.

Dünkel – In Zusammenhang mit „Big Brother“ et alterum schwangen sich Deutschlands Publizisten zu Höchstleistungen auf. Aus der Süddeutschen Zeitung troff der Sabber, als sie an der Mitspielerin Sabrina „Brüste wie entsicherte Handgranaten“ gewahrte. Der Stern fand sämtliche Bewohner ohne viel Edelfederlesens schlicht „bescheuert“ und beschrieb Zlatko Trpkovski besinnungslos als „Kreuzung aus Fladenbrot, Freischärler und Schaf“, während wiederum die Süddeutsche Zeitung knapp Begriffe wie „unwertes Leben“ und „Untermensch“ umschiffte und ihn zärtlich ein „tätowiertes, muskelbepacktes Tier“ nannte. Wenn die im Hürther Isolationstank versammelten Stellvertreter des gemeinen Volkes aber der Journalistenelite so wenig gefallen – wäre es da nicht gescheit, sie wählte sich ein neues?

Endemol – Die niederländische Produktionsfirma entschied die alles beherrschende Frage „Wer wird Millionär?“ eindeutig für sich.

Fernsehfilme – Die Öffentlich-rechtlichen verbreiterten ihr Angebot an gediegenem Schund und rührten ordentlich Danella in die Pilchersuppe. Der Privatsektor wusste die immer preiswerteren Spezialeffekte zu nutzen und traute sich öfter mal an den fantastischen Film heran. Jeder dritte Spielfilmtermin, so jedenfalls mochte es einem zuweilen erscheinen, gehörte Iris Berben. Mehrfach durchgespielt und bis zum Überdruss überreizt wurde die Konstellation aus reifer Dame (Senta Berger, Christiane Hörbiger, Hannelore Elsner) und jungem Spund. Die Feuilletonisten aber sehen so was gern.

Gerichtssendungen – „Wie würden Sie entscheiden?“, wurde beim ZDF zum letzten Mal gefragt, und auch die „Ehen vor Gericht“ ereilte ein vernichtendes Urteil. Prozessiert wird weiterhin in werktäglichen Schnellverfahren – „Streit um Drei“ (ZDF) ist eine gestraffte Version des Klassikers „Das Fernsehgericht tagt“, „Richterin Barbara Salesch“ (Sat.1) folgt dem US-Vorbild „Judge Judy“.

Hausse – Jacke wie Hausse war dem soliden Kleinsparer das inzwischen deutlich abgeklungene Aktienfieber, auch wenn die Berichterstattung weiter ausgeweitet wurde und die ARD sogar ein Sendeplätzchen vor der „Tagesschau“ freiräumte, um neben dem Welt- auch das Börsenklima auszuposaunen.

Inseln – Der Traum vom unbeschwerten Leben auf der einsamen Insel wurde durch Abenteuershows wie „Das Inselduell“, „Expedition Robinson“ und „Die Wallerts auf Jolo“ mit bitteren Realitäten konfrontiert.

Jauch, Günther – Wirkte als Sterntaler bei „Stern TV“ und investigativ bei „Wer wird Millionär?“, bestritt Sportveranstaltungen, laudierte Thomas Gottschalk, erledigte Jahresrückblicke und verbrachte den Rest seiner Zeit in der „Harald Schmidt Show“ – die Verjauchung des Programms schreitet voran. Nicht mehr fern ist der Tag, an dem aus Konserven und Neuproduktionen ein „Jauch TV“ geschaffen wird. TM 3 böte sich an.

Kakerlaken – Wurden zur sonntäglichen Kaffeestunde zum Verzehr bereitgestellt. Von der ARD in „Guinness Mag – Die Welt der Rekorde“. Ministerpräsident Kurt Beck und den Bayerischen Landfrauen muss es wohl gefallen haben. Sonst hätten sie bestimmt etwas verlauten lassen.

Leibesfülle – Spätestens seit dem Erfolg von „Abnehmen in Essen“ werden beim Fernsehen nicht mehr nur Personalbestände abgespeckt. Doku-Soaps, TV-Dramen, Reportagen machten sich die Belange der Übergewichtigen zu Eigen. Und im nächsten Jahr geht’s mit der „Big Brother“-Variante „Big Diet“ in die Vollen.

Möllemann – Recht wenig behagt es der Feuilletonistenbagage, dass die Jugend der Politik so wenig Interesse entgegenbringt. Kommt aber die Politik in Gestalt eingestandermaßen eher fragwürdiger Figuren wie Möllemann und Westerwelle der Jugend halbwegs entgegen und lässt sich sogar unter „Big Brother“-Anhängern blicken, ist es auch von Übel. Gut, dass immer hinreichend Gelegenheit zum Naserümpfen besteht. Anderenfalls wären ja die Feuilletonisten vom Aussterben bedroht.

Nominierung – Künftighin heißt es auf deutschen Zeugnissen nicht mehr „Besetzung gefährdet“, sondern „nominiert“.

Optimierungspapier – Debattengegenstand für Menschen, die selten fernsehen. Und deswegen auch keinen Schimmer haben, dass längst eingetreten ist, was sie mit gekräuselten Stirnen heraufbeschwören. Feuilletonisten stürmten in dieser Angelegenheit aufgeregt vorneweg.

Peep – Wurde ebenso eingestellt wie „Liebe Sünde“ und der wöchentliche Softporno auf RTL 2. Was ist los, Kommerzsender? Wollt ihr am Ende alle Ferkeleien dem französischen Kunstkino und damit den Feuilletonisten überlassen?

Quiz – Weihnachten war schon nicht mehr fern, als die höchst aufmerksame Nachrichtenagentur dpa ihre Kundschaft in Kenntnis setzte, dass sich das „deutsche TV-Publikum“ nunmehr „im Quizrausch“ befinde. Auch verbreitete der stets sauber recherchierende dpa-Autor Carsten Rave vorwitzig, dass die ARD als „Erfinder des TV-Quiz“ gelte. Womit er bei Günther Jauch und Konsorten in einem Rutsch durchgefallen wäre, denn natürlich stammt das Quiz, der Name sagt’s ja schon, aus den USA.

Raab, Stefan – Dirigiert die Massen nach Belieben und stieg ergo zum Alleinherrscher der deutschen Fernsehunterhaltung auf. Mit Guido Westerwelle empfing er den ersten Unterhändler aus den Reihen der Politik. Westerwelle hat erkannt: Wer demnächst ins Kanzleramt will, kommt um Stefan Raab nicht mehr herum.

Sopranos – Exzellente Serie aus den USA, die mit der Zeit eine treue Kultgemeinde um sich versammelte. Dem quotengierigen ZDF war’s nicht genug, eine Fortsetzung findet nicht statt. Die Privatunternehmer sind da schlauer – dort hat geduldige Aufbauarbeit den „Simpsons“, „Ally McBeal“ u. a. zum Erfolg verholfen. Die maßgebliche Forderung für das Jahr 2001: Die Sopranos müssen zu Vox!

Trennungen – Fernsehöffentlich wurde um die Wette separiert – Boris und Babs, Anke Engelke und Niels Ruf, Kienzle und Hauser, die SFB-Kommissare Ritter und Hellmann, von der Lippe und die ARD. Es wollte schier kein Ende nehmen. Steht gar das duale System als solches zur Disposition?

Untersicht – Die inländischen Sender bewiesen zunehmend Neigung, die Welt aus dem Blickwinkel des gemeinen Zuschauers zu zeigen – wieder so ein hinterhältiger Plan, die Herrschaft über die Marktanteile zu erlangen. Aber die Feuilletonisten werden von oben herab unerbittlich aufklären und die Verschwörung zunichte machen.

Verbrecher – RTL 2 präsentierte neben anderen geistig anregenden Bildercocktails die Reihe „Die dümmsten Verbrecher der Welt“, die aber nicht im Mindesten selbstkritisch gemeint war.

Wiederholungstäter – Der „Tatort“ wurde 30 Jahre alt, feierte sich mit einer schwachen Jubiläumsfolge, wird aber nicht davon ablassen, weiterhin mit Gesetzesbruch und Kapitalverbrechen dicke Quotenbeute einzukassieren.

X – ... für U zu setzen versuchten einige Feuilletonisten mit der waghalsigen Behauptung, das Quiz habe die täglichen Talkshows in der Beliebtheit des Publikums abgelöst. Nicht nur werden hier unzulässig Tages- mit Abendprogrammen verglichen, auch die Grundannahme ist anfechtbar, denn eine sinnvolle Marktbereinigung bedeutet nicht zwangsläufig das Ende einer kompletten Gattung.

ZDF-Hitparade – Wurde schmählich zu Grabe getragen. Gut, dass Rex Gildo das nicht mehr erleben musste. Es hätte ihn womöglich glatt aus dem Fenster geworfen.